Nichts als Erlösung
und den Laptop konfiszieren, und dann haben sie ihn. Zwar ist er in den Schatzsucherforen nur anonym als goldfinger unterwegs und hat den Verkauf des Bronzeschilds zum Großteil im Internetcafe abgewickelt, aber eben nur zum Großteil. Nicht konsequent von Anfang an, denn zunächst wollte er ja eigentlich nur den Marktwert testen.
Er steht auf, schleicht nach unten, fährt den Laptop wieder hoch. In der Umgebung von Biblis gibt es keine mysteriösen Vermisstenfälle, jedenfalls nicht im Internet. Wie lange der Tote schon dort im Steiner Wald liegt, ist schwer zu sagen. Zehn, fünfzig, hundert Jahre oder mehr, je nach Bodenbeschaffenheit, theoretisch könnte er sogar aus der Römerzeit stammen. Das rostige Ding, auf das der Deus angeschlagen hatte, deutet auf nicht ganz so vergangene Zeiten hin, denn das ist eindeutig das Schaufelblatt eines Klappspatens, wie er ihn aus seiner Zeit bei der Bundeswehr kennt und wie ihn auch die Soldaten im Zweiten Weltkrieg benutzten. Er starrt auf die Fotos, die er gemacht hat, muss plötzlich an die Vogelknöchelchen denken, wie zart und zerbrechlich die waren, ganz ähnlich wie dieser menschliche Fuß. Gehörte der überhaupt einem Mann oder einer Frau?
Er springt auf, kocht sich einen Kaffee, breitet das Kartenmaterial vom Steiner Wald auf dem Wohnzimmerfußboden aus. Die Römer, die Spanier und Hessenarmeen im Dreißigjährigen Krieg, die Nazis und die Alliierten – alle haben sie in diesem Gebiet erbittert um die Kontrolle des Rheinübergangs gekämpft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die US-Army und die Bundeswehr an der Rheinseite des heutigen Naturschutzgebiets für ihre Manöver eine NATO-Übungsstraße errichtet, die bis heute existiert. Es ist also mehr als wahrscheinlich, dass er auf die sterblichen Überreste irgendeines armen Tropfs gestoßen ist, der im Krieg gefallen, notdürftig verscharrt und vergessen worden ist. Und das heißt: Wer auch immer den einmal geliebt hat, dürfte sich inzwischen mit dessen Verschwinden abgefunden haben – oder womöglich sogar selbst nicht mehr leben. Wenn er schweigt, entsteht also niemandem ein Schaden.
Er trinkt seinen Kaffee aus, geht hoch ins Bad und schmiert seine Stiche mit dem Gel ein, das Sabine ihm gegeben hat. Scheißviecher. Er sieht verdammt noch mal aus, als habe er die Beulenpest. Vielleicht sollte er die Sucherei im Steiner Wald zumindest für eine Weile ruhenlassen. Vielleicht sollte er auch den Toten in Frieden lassen, statt weiter nach einer Soldatenmarke zu suchen, einer Gürtelschnalle, irgendwas, mit dem sich seine Identität bestimmen lässt. Vielleicht ist das rostige Schaufelblatt Hinweis genug.
»Papa, Pipi!«
Julias Stimmchen reißt ihn aus seinen Gedanken. Ihre nackten Füßchen tapsen über den Flur, schlaftrunken lächelt sie zu ihm auf. Er kniet sich hin und breitet die Arme aus. Hebt sie aufs Klo und, als sie fertig ist, auf seine Hüfte, pustet in ihr Haar, so wie sie das liebt.
»Komm, Sonnenscheinchen, wir machen Frühstück und lassen Mama und Jan noch ein Viertelstündchen schlafen!«
Sie schlingt ihre Babyspeck-Ärmchen um ihn und presst den Kopf an seine Brust, was er als Zustimmung nimmt. Aber natürlich ist sie mit zweieinhalb Jahren noch viel zu klein, um ihm zu helfen, und sobald sie unten sind, will sie raus in den Garten, schaukeln, also öffnet er ihr die Terrassentür, denn der Garten ist eingezäunt, was soll schon passieren. Es wird Rührei mit Tomaten geben, beschließt er, und Cornflakes mit Milch und frischen Erdbeeren. Er hat genug Zeit, das vorzubereiten, und nach einer weiteren Hustennacht haben sie sich alle ein anständiges Frühstück verdient.
Euer Papa ist ein Dieb, ein Halunke, ein böser Mann. Er kann seinen liebreizenden Schwiegervater das sagen hören, den Triumph in seiner Stimme, sollte die Polizei ihn je wegen Raubgräberei drankriegen. Ich-hab’s-ja-gleich-gewusst-und-auch-immer-gesagt – fast so deutlich, als stünde der Alte hier in der Küche. Sabine würde ihm seinen Ausrutscher mit dem Bronzeschild vielleicht noch verzeihen, doch ihre Eltern, ganz besonders ihr Herr Geschäftsführervater, sind ein anderes Kaliber. Seit er ins Leben ihres kostbaren Töchterleins getreten ist – ein ordinärer Handwerker –, warten die nur auf eine Gelegenheit, ihn aus ihrer sauberen Familie zu vertreiben, ohne jede Rücksicht auf Sabines Gefühle oder Jan und Julia. Aber das kann er nicht zulassen, nicht noch einmal, das …
»Paapaaa!«
Er fährt herum,
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