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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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ist. Doch es ist da, ganz ohne Zweifel, immer schon war es da. Ablehnung, hat sie früher gedacht. Ablehnung, weil sie ihre Mutter an die gescheiterte erste Ehe erinnerte, an Thomas Engel, ihren leiblichen Vater. Aber vielleicht liegt sie falsch, vielleicht ist es etwas ganz anderes. Skepsis oder Unsicherheit oder etwas dazwischen, etwas, das gar nichts mit ihr zu tun hat, sondern allein mit ihrer Mutter. Sie sieht zu ihr hinüber, sieht, wie sie lächelt und lächelt und dabei nie aufhört, alle und alles in ihrer Umgebung genau zu beobachten. Sie ist auf der Hut, denkt Judith plötzlich, als habe sie vor etwas Angst, genau wie Kurt Böhm. Aber wenn dem wirklich so ist, was bedeutet es? Dass Kurt Böhm unschuldig ist?
    ***
    Stromgeneratoren brummen nervtötend laut, mobile Scheinwerfer tauchen die Lichtung in gleißende Helligkeit. Jenseits davon ist nichts als Schwärze, der Täter könnte dort irgendwo stehen und sie beobachten oder auf sie schießen. Manni zerbeißt ein Fisherman’s, schluckt die Bröckchen herunter, was sein leerer Magen überhaupt nicht goutiert. Dreh jetzt bloß nicht ab, Mann, kein Täter der Welt ist so blöd, es mit einem ganzen Polizeieinsatzkommando aufzunehmen, es sei denn, der ist völlig durchgeknallt und läuft Amok, und nichts deutet darauf hin, dass das der Fall ist.
    Manni dreht sich trotzdem um und versucht zumindest im Unterholz unmittelbar hinter sich irgendwas zu erkennen. Keine Chance, alles düster. Er gibt auf, wendet sich wieder dem Geschehen auf der Lichtung zu. Warten. Warten. Immerhin sind die hessischen Kriminaltechniker mit ihren Vorbereitungen fertig und beginnen endlich zu graben. Im Zeitlupentempo, wie es scheint, aufreizend langsam. Wie viele Tote werden sie in den nächsten Stunden zutage fördern? Einen, zwei oder drei? Hauptsache, es handelt sich nicht um Kinderskelette. Er schlägt nach einer Mücke, erwischt sie nicht. Sievert muss hier auf die sterblichen Überreste der Vollenweiders gestoßen sein. Alles andere wäre absurd, völlig abgedreht, geradezu irreal. Manni tastet nach der Asservatentüte mit dem Projektil in seiner Hosentasche. Bevor es dunkel wurde, hat er das am Rand dieser Lichtung in einem Baumstamm gesichert. 9mm Luger – genau wie das, mit dem Jonas Vollenweider erschossen wurde. Und auch wenn die ballistische Untersuchung noch aussteht, ist er bereit zu schwören, dass es aus derselben Waffe abgefeuert wurde wie das in Köln. Aus derselben P 1, vom selben Täter.
    Der Mörder, den sie jagen, war also hier, davon kann man ausgehen, und wenn man sich das rohe Fleisch vor Augen führt, das einmal Jonas Vollenweiders Gesicht gewesen ist, muss man Eric Sievert wohl dazu gratulieren, dass er noch lebt. Trotzdem geht ihm der Kerl auf die Nerven, denn er redet und redet. Ein bisschen Abwechslung, ein Ausgleich zum Familienleben sei das Sondengehen, ein Mann brauche das manchmal, Alleinsein und Abenteuer, das könne Manni doch sicher verstehen, und natürlich hätte Sievert sofort die Landesarchäologen informiert, hätte er hier etwas Wertvolles gefunden, er sei kein Raubgräber, bestimmt nicht, auch diesen Skelettfuß wollte er noch melden – ich tu nichts, ich mach nichts, ich will doch nur spielen, die übliche Masche, das immer gleiche Lied.
    »Wenn Jan oder Julia etwas geschehen würde, ich könnte das nicht…« Sievert räuspert sich neben ihm. »Haben Sie Kinder?«
    Manni schüttelt den Kopf und sieht unwillkürlich Sonja vor sich, ihre Verzweiflung neulich, wie sie geweint hat. Im ersten Moment hatte er geglaubt, es sei etwas mit dem Kind, und war plötzlich sicher, dass Sonja das nicht verwinden könne, dass es keinen Trost für sie gäbe, dass sie beide dieses Kind zwar weder geplant noch herbeigewünscht hatten, aber dennoch schon tief in der Falle säßen, genauso wie alle anderen Eltern: lebenslange Unfreiheit und kein Weg heraus.
    Vater-Mutter-Kind. Bedingungslose Liebe, auf Gedeih und Verderb. Natürlich ist das Kitsch, bar jeder Realität, das weiß er nur zu gut. Eltern missachten, misshandeln, missbrauchen ihre Kinder, seelisch und körperlich. Eltern lassen ihre Kinder verwahrlosen, verstoßen sie, töten sie sogar, und oftmals behaupten sie auch noch, das geschehe aus Liebe.
    »Hier ist was«, ruft einer der Kriminaltechniker. »Ein Fuß!«
    Manni drängt die Gedanken an Sonja und das Kind beiseite und tritt neben das Loch, das die Kollegen inzwischen ausgehoben haben. Knochen liegen darin, die Füße und Schienbeine eines

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