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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Sieverts Schweigen ist aggressiver, viel leichter zu ertragen. Ist Böhm der Mörder, den sie jagen? Seine Frau ist sein Alibi, es gibt keinerlei Spuren, die ihn eindeutig belasten, einen Durchsuchungsbeschluss für sein Haus haben sie nicht bekommen.
    »Hier jetzt links und dann geradeaus bis zum Rhein, da führt dann eine NATO-Übungsstraße parallel zum Fluss fast bis zum Steiner Wald«, sagt Sievert.
    NATO, Bundeswehr, Truppenübungen. Auch das passt zur Tatwaffe. Manni wirft ihr einen Seitenblick zu und hebt den Daumen. Es geht alles zu glatt, denkt Judith, fast wie vorprogrammiert. Die Waldfotos, die uns nach Darmstadt führen. Der gerahmte Zeitungsausschnitt auf Kurt Böhms Gästeklo, Böhm und Sievert Spaten schwingend nebeneinander, und prompt hat auch Sievert Post bekommen, anonym, abgestempelt in Köln, in genauso einem Briefumschlag wie ich, und dann hat er auch noch diese Knochen gefunden. Und wir springen darauf an wie die pawlowschen Hunde, gehen dieser Inszenierung voll auf den Leim. Und vielleicht ist genau das die Intention dieses Täters. Uns zu zeigen, dass er überlegen ist und uns unter Kontrolle hat und die Fäden in der Hand behält. Uns zu zeigen, dass wir ihn brauchen, um diesen Fall zu lösen, dass wir ohne ihn hilflos sind, genauso hilflos wie er damals in diesem Besinnungszimmer.
    Sie will rauchen. Jetzt, sofort. Das Verlangen ist so intensiv und akut wie seit Tagen nicht mehr. Sie will den Kick in der Lunge, spüren, wie er ihr in den Kopf schießt. Sie will den Rauch auf der Zunge schmecken, sich in Qualm hüllen, wenigstens für ein paar Züge, ein paar Minuten oder Sekunden. Der Weg wird schmaler, führt durch sonnenverdorrte Felder bis direkt an den Rhein. Angler sitzen hier und gaffen ihnen entgegen. Ein Polizeigroßeinsatz in dieser verschlafenen Gegend – die Nachricht wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten und ein Medienspektakel nach sich ziehen, was oder wen sie auch immer hier finden. Judiths Mund ist sehr trocken, ihre Lunge erscheint ihr zu leer, zu groß. Sie schaut auf ihre Armbanduhr. Schon nach sechs, spätestens in einer Stunde muss sie los, wenn sie ihr Versprechen halten und zur Geburtstagsfeier ihres Vaters nach Frankfurt will. Manni ist einverstanden, die Ausgrabung wird sich in die Länge ziehen, so viel ist sicher, und solange sie andauert, können sie nichts tun, nur rumstehen und warten. Aber sie muss zumindest wissen, ob sich in diesem Wald, der vor ihnen in Sicht kommt, überhaupt menschliche Knochen verbergen, mindestens das, sonst kann sie nicht weg.
    Unwirklichkeit, wieder dieses Gefühl, als sie endlich anhalten, aussteigen und Eric Sievert zu Fuß in den Auenwald folgen. Mücken surren. Ein Kuckuck ruft. Es ist sehr warm, fast wie in einem tropischen Dschungel.
    »Ich bin ein Star, holt mich hier raus«, sagt einer der Polizeibeamten hinter ihnen in tiefstem Hessisch, ein paar Männer lachen.
    »Hier links hat man vor 20 Jahren die Reste der römischen Festung Zullestein ausgegraben, das Geld dafür haben die Betreiber des AKW gegeben«, sagt Sievert und deutet auf den Grundriss einer steinernen Ruine. »Und diese Erhebungen dort sind Reste von Sternschanzen aus dem Dreißigjährigen Krieg. Hier wurde immer schon viel gekämpft. Deshalb dachte ich ja, ich hätte einen Soldaten gefunden …« Er bricht ab, zieht ein GPS-Gerät aus der Hosentasche, tippt darauf herum, schlägt sich dann ins Unterholz und bedeutet ihnen, ihm zu folgen. Etwas sirrt an Judiths Ohr, gleich danach fängt ihr Hals an zu jucken. Hüfthohes Unkraut schlingt sich um ihre Jeans, ihr rechter Fuß sackt bis zum Knöchel in ein Wasserloch. Sie hat zwar ihr Standard-H&M-Cocktailkleid für die Party eingesteckt, aber keine passenden Schuhe, ein Geschenk hat sie auch nicht, fällt ihr plötzlich ein, und das ist so absurd, dass sie beinahe loslacht.
    »Scheißviecher.« Manni schlägt sich auf den Oberarm.
    Sievert wendet sich nach rechts, bahnt sich einen Weg durch Gestrüpp, hangelt sich schließlich über einen Graben auf eine morastige Lichtung.
    »Hier ist es«, sagt er und reicht Judith eine Flasche Autan.
    Die beiden Waldfotos, die der Täter ihr schickte, sind hier nicht entstanden, das erkennt sie sofort. Die Baumstämme am Rande dieser Lichtung sind zu dick und nicht so verästelt, der Boden ist nicht mit Gras bewachsen. Judith schüttet sich eine Ladung stinkenden Insektenschutz über die Arme, reibt sich auch das Gesicht ein, gibt die Flasche an den Kollegen neben sich weiter.

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