Nichts als Knochen
Andrea irgendwann, »hast du Judo oder sonst was in der Art gemacht?«
»Nee, hab ich mir alles auf der Straße antrainiert.« Tobias grinste selbstgefällig, während Andrea ihn misstrauisch beäugte.
»Was sagtest du doch gleich, wo du aufgewachsen bist?«, wollte sie sicherheitshalber wissen, doch er lachte nur und legte einen Arm um ihre Schultern.
»Komm, lass uns noch woanders hingehen, bevor uns dieser Wahnsinnige hinterherkommt.«
Eine Weile folgten sie den Ringen Richtung Norden, bis Tobias auf den Eingang einer Diskothek zusteuerte und Andrea hinter sich her zog. Der Türsteher nickte Tobias nur kurz zu und trat zur Seite, um sie vorbeizulassen.
»Bist du öfter hier?«, wollte Andrea wissen. Tobias nickte und schob sie die Treppe hinunter.
Der Raum am Ende der Treppe war noch nahezu leer, doch die Musik wummerte bereits ohrenbetäubend, und die gleißenden Lichteffekte zuckten über die verwaiste Tanzfläche. Tobias dirigierte sie zu einem Tisch in einer kleinen Nische, in der die Musik nicht ganz so laut dröhnte, und ging zur Theke, um beim Barkeeper zwei Drinks zu ordern. Als sie kurz darauf vor zwei ausgesprochen bunten Getränken saßen, startete Andrea einen halbherzigen Versuch, Konversation zu betreiben.
»Ziemlich laut hier«, brüllte sie, um sich verständlich zu machen. Tobias nickte zustimmend.
»Dafür turnt hier auch kein wild gewordener Ex-Lover von dir herum«, schrie er zurück.
»Da hast du Recht«, gab sie zu und versuchte erfolglos, sich Jan in dieser Umgebung vorzustellen.
»Wir brauchen ja nicht lange zu bleiben«, schlug Tobias vor, »nur so lange, bis die Luft wieder rein ist und wir sicher sein können, dass er uns nicht gefolgt ist.«
Obwohl er laut gesprochen hatte, war nur die Hälfte bei Andrea angekommen. Irritiert sah sie in sein erwartungsvolles Gesicht und nickte schließlich zustimmend. Plötzlich sprang Tobias auf, und wie auf einen Befehl verzog sich sein Gesicht zu einem unnatürlich herzlichen Lächeln.
»Bülent!«, schrie er gegen die Musik an. »Alles klar bei dir?«
Er ging einen Schritt auf die drei Männer zu, die an ihren Tisch herantraten. Der mittlere war ein schlanker, gut aussehender Enddreißiger mit modisch geschnittenen schwarzen Haaren, die vor Haargel glänzten. Das weiße Seidenhemd stand fast bis zum Bauchnabel offen und steckte in einer schwarzen Lederhose. An den Fingern hatte er mehrere auffällige Goldringe.
Links und rechts hinter ihm standen zwei stoppelhaarige Kleiderschränke, deren Nackenmuskulatur Furcht einflößende Ausmaße annahm. Bülent nahm eine abwartende Haltung ein, ohne einen Gesichtsmuskel zu bewegen. Nur an seinen verengten Augen, aus denen die Wut hervorblitzte, konnte man seine Stimmung ablesen. Tobias erstarrte, und sein Lächeln gefror zu einer Maske. Das stetige Wummern der Bässe fuhr ihm in den Magen und verursachte leichte Übelkeit. Er schluckte und wartete schicksalergeben. Die Schaltungen in seinem Hirn hatten ihn längst zu der Erkenntnis geführt, dass seine Lage aussichtslos war. Früher oder später musste es ja so kommen. Gebannt beobachtete er, wie Bülent langsam eine goldberingte Hand hob und seinen Kleiderschränken einen Wink gab. Im nächsten Augenblick hatten sie ihn auch schon links und rechts gepackt und hielten ihn fest wie ein Schraubstock.
Andrea war aufgesprungen und brüllte einen Einwand zu der kleinen Gruppe hinüber. Ein Blick aus Bülents Augen ließ sie erstarren. Ihr Mund war trocken geworden, und Angst kroch in ihr herauf. Sie hatte das Bedürfnis zu fliehen, konnte sich aber nicht von der Stelle rühren. Wie in Trance beobachtete sie, wie Bülent ausholte und Tobias mit der Faust mitten ins Gesicht schlug. Der große, verschnörkelte Ring an seinem Mittelfinger traf dabei die Nase, aus der jetzt Blut tropfte. Bülent zerrte mit beiden Fäusten an Tobias' Hemdkragen und zischte ihm einige Sätze in das blutende Gesicht.
»… verdammter … bescheißen, was? … für blöd gehalten … jeden einzelnen Cent … bis Dienstag … Geburt verfluchen!«
Andrea schwankte und krallte sich an einem Stuhl fest. Ihr war schwindlig. Sie wollte etwas sagen, doch sie war unfähig, sich zu bewegen. Sie sah zu Tobias hinüber, dem Schweißperlen auf der Stirn standen.
»Ist das klar?«, brüllte Bülent ihn noch einmal an, und Tobias nickte heftig. Bülent schien einen Augenblick lang zufrieden zu sein, dann riss er urplötzlich das rechte Knie hoch und rammte es Tobias zwischen die
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