Nichts als Knochen
Beine.
»Damit du's auch nicht vergisst!«
Er gab seinen Bodyguards noch einen Wink, und sie lösten ihre Umklammerung und folgten Bülent nach draußen.
Andrea erwachte aus ihrer Erstarrung und stürzte auf Tobias zu, der sich vor Schmerzen auf dem Boden wand. Nach einer Weile zerrte sie ihn auf die Beine, zog ihn nach oben auf die Straße und winkte ein vorbeifahrendes Taxi heran. Als sie schließlich auf dem Rücksitz saßen und mit mehreren Tempos die Blutung aus Tobias Nase gestillt hatten, sah sie ihn fragend an. Tobias schloss kurz die Augen, holte noch mal tief Luft und sagte: »Ich glaube, ich muss dir da ein paar Dinge erklären.«
Andrea nickte.
»Den Eindruck habe ich auch.«
Krishna stieg aus seinem Porsche Boxster, den er erst seit vier Wochen fuhr und der im Vorfeld zu einiger Verstimmung mit Rebecca geführt hatte. Sein freudestrahlender Bericht über den beabsichtigten Kauf war von ihr lediglich mit ein paar abfälligen Bemerkungen über Porschefahrer quittiert worden. Als sie dann auch noch versuchte, einen Zusammenhang zwischen der Größe des Auspuffrohrs und der Größe von bestimmten Körperteilen des Fahrers herzustellen, hatte er beschlossen, das Thema besser nicht mehr anzusprechen.
Jetzt gestattete er sich einen unbeobachteten, liebevollen Blick auf seine Neuerwerbung, griff dann nach der Reisetasche und sah hinüber zu der tristen Gebäudefassade mit den im Erdgeschoss vergitterten Fenstern.
»Wenn das mal kein Fehler war«, murmelte er zweifelnd, schloss die Autotür und ging dann mit Entschlossenheit vortäuschenden Schritten auf den kleinen Vorbau zu, in dem sich hinter ein paar Stufen und einem großen, runden Torbogen die Eingangstür zum Kloster verbarg. Kurz darauf saß er in einem kleinen, schlichten Raum mit weiß getünchten Wänden an einem einfachen Holztisch und sah zu, wie sein Gegenüber seine Papiere in die Hände nahm und studierte. Schließlich sah Bruder Johannes, der Abt des Klosters, Krishna prüfend in die Augen und ließ die Unterlagen sinken. Dann überquerte ein breites Lächeln die Furchen und Gräben seines Gesichts, und er lehnte sich entspannt zurück.
»Sie sind also Herr Müller und wollen hier ein paar Tage lang Lösungen auf einige Fragen finden, die das Leben Ihnen bisher stellte, aber nicht beantwortete.«
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und Krishna sah sich wie von magischer Hand gezwungen zu nicken.
»Gut«, Bruder Johannes schnaubte zufrieden, »das sollte mit Gottes Hilfe möglich sein. Sie werden hier genügend Ruhe und Muße haben, um über alles nachzudenken, was Sie bewegt und beschäftigt. Das Klosterleben bietet in dieser Hinsicht einige Vorteile gegenüber der Außenwelt. Manch einer ist hier schon zu Erkenntnissen gelangt, die ihm in der Hektik des Alltags vollkommen verborgen geblieben sind. Sind Sie auch ein Suchender?«
»Wie?«
Die Frage traf Krishna unvorbereitet, und er hatte das Gefühl, dass sein Gesichtsausdruck nicht gerade ein Bild überschäumender Intelligenz widerspiegelte.
»Nun, ich meine, sind auch Sie auf der Suche nach dem Sinn in Ihrem Leben?«, entgegnete Bruder Johannes freundlich. »Suchen Sie zum Beispiel eine Antwort auf die Frage, ob es einen Gott gibt?«
Krishna schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Es stimmt zwar, dass ich die Antwort auf eine Frage suche, doch ich fürchte, diese Frage betrifft einen äußerst profanen Teil meines Lebens.«
Bruder Johannes breitete begütigend seine Arme aus.
»Ich würde mich freuen, Ihnen bei der Beantwortung dieser für Ihr Leben so wichtigen Frage behilflich zu sein, wenn Sie das wollen. Ich und meine Mitbrüder stehen Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Seite.«
Krishna bemühte sich angestrengt um einen ernsthaften Gesichtsausdruck, als er antwortete: »Vielen Dank, Bruder Johannes, aber ich nehme an, die Frage betrifft einen Bereich, der außerhalb Ihrer Lebenserfahrung liegt.«
»Sagen Sie das nicht.«
Der alte Abt warf ihm einen verschwörerischen Blick zu.
»Es gibt so manches, was wir wissen und von dem die Welt dort draußen nicht einmal ahnt, dass wir es wissen.«
Es folgte eine kleine Pause, in der sich die beiden aufmerksam in die Augen sahen. Schließlich nickte der Abt und erhob sich.
»Wie dem auch sei. Sie haben sich für Ihren Aufenthalt ein Benediktinerkloster ausgesucht, und wir leben hier nach der Benediktregel, die sich vereinfachend mit den Worten ›ora et labora‹ ausdrücken lässt, also ›bete und arbeite‹. Das
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