Nichts als Knochen
sorgen, dass nicht alles noch schlimmer wird. Sie müssen sich der Polizei stellen.«
Krishna hatte mit fester Stimme und sehr überzeugend gesprochen. Jetzt sah er erwartungsvoll den falschen Mönch an, der immer noch mit gesenktem Kopf auf dem Steinboden saß. Einige Sekunden lang geschah nichts. Dann hob Bruder Giordano den Kopf und sah Krishna mit lauerndem Blick an.
»Warum sollte ich das tun?«, flüsterte er. »Die Kordel habe ich mitgenommen und weggeworfen, und offensichtlich habe ich am Tatort keine Spuren hinterlassen, die sie zu mir führen, sonst wären sie längst hier. Das geklaute Auto habe ich unbemerkt wieder auf dem Parkplatz abgestellt, und im Kloster hat keiner bemerkt, dass ich überhaupt weg war. Niemand weiß davon. Niemand, außer Ihnen.«
Sondereinsatz
R ebecca warf einen letzten Blick auf die Uhr und stand dann mit einem Ruck auf. Krishna war seit fast einer Stunde überfällig, und der Kloß in ihrem Magen wurde immer größer. Sie musste was unternehmen. Im Laufschritt lief sie zurück zur Hauptstraße und an der Klausurmauer entlang, bis sie die Ostfassade der Abteikirche im Blick hatte. Sie blieb stehen, drehte sich einmal um sich selbst und ließ die Augen schweifen. Als sie sicher war, dass sie allein und unbeobachtet war, nahm sie Anlauf und sprang an der Klausurmauer hoch. Doch ihre Fingerspitzen kamen bei weitem nicht an den Rand der Mauer heran. Sollte sie die Mönche aus dem Bett klingeln und darum bitten, nach ihrem Freund suchen zu dürfen? Irgendwie schien ihr das keine gute Idee zu sein. Verzweifelt sah sie sich um. In einiger Entfernung sah sie einen dunklen Schatten im Straßengraben. Sie ging ein Stück näher und sah, dass es ein halb vermoderter Baumstamm war. Mit einiger Mühe zog sie ihn aus dem Graben und richtete ihn auf, bis er mit dem oberen Ende an der Mauer lehnte. Dann griff sie nach den abgesägten Resten der Äste und kletterte vorsichtig wie auf einer natürlichen Leiter hinauf. Mühsam balancierend stand sie schließlich auf der höchsten Astgabel und tastete sich mit den Händen weiter nach oben. Schließlich konnte sie das Ende der Mauer ertasten und stieß sich mit den Füßen ab. Der Baumstamm rutschte polternd zur Seite und rollte zurück in den Graben. Rebeccas Hände griffen über den Mauerrand und krallten sich fest, während ihre Beine hilflos in der Luft zappelten. Keuchend stellte sie ihre Fußspitzen gegen die Mauer und arbeitete sich mühsam nach oben, bis sie ein Bein über die Mauer schieben konnte und schnaufend eine Weile oben liegen blieb. Schließlich ließ sie sich an der anderen Seite lang herunterhängen und landete ohne weitere Blessuren auf dem Boden. Vor ihr lagen der Klostergarten und die Ostfront der Abteikirche, an die sich links ein Gebäudeteil mit Wohn- und Gemeinschaftsräumen der Mönche anschloss. Hier lag die Zelle von Bruder Giordano, wie sie wusste. Aber Krishna war im Josephsbau untergebracht, und sie wünschte, sie hätte ihm besser zugehört, als er ihr erklärt hatte, wo genau seine Zelle lag.
In gebückter Haltung lief Rebecca durch den Klostergarten und zwischen Schwanenweiher und Wohntrakt hindurch. Obwohl das Kloster in tiefer Dunkelheit dalag, spendeten die Sterne am wolkenlosen Himmel genug Licht. Sie lief um das Gebäude herum und erreichte schließlich auf der Südseite des Klosters den barocken Flügel des Josephsbaus.
War es die letzte oder die vorletzte Zelle im Erdgeschoss? Sie schloss kurz die Augen und rief sich Krishnas Stimme ins Gedächtnis. ›Die letzte‹, sagte sie schließlich zu sich selbst und ging auf das geöffnete Fenster zu. Vorsichtig schob sie die Gardine, die sich in der kühlen Nachtluft sanft bauschte, ein Stück beiseite und spähte in den dunklen Raum. Vielleicht war er eingeschlafen.
»Krishna«, rief sie leise.
Nichts rührte sich. Schnell und geräuschlos kletterte sie in das Zimmer und verharrte einige Sekunden, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann sah sie, dass das Bett leer war. Sie sah sich um. Seine Jeans und sein blaues Hemd hingen über dem Stuhl, seine schwarze Reisetasche stand in einer Ecke, und sein MP3-Player lag auf dem kleinen Schreibtisch, doch von Krishna selbst gab es keine Spur. Angst begann ihren Rücken hinaufzukriechen. Es musste ihm etwas zugestoßen sein, und sie war es, die ihn in Gefahr gebracht hatte mit ihren Aufträgen. Vielleicht hatte er doch versucht, die Zelle von Bruder Giordano zu durchsuchen und war erwischt worden.
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