Nichts für Anfänger - Roman
schleiche leise die Treppe rauf. Das ist total verrückt, dass ich gerade dabei bin, in diesem Haus, in dem ich fast mein ganzes Leben mit meiner Familie verbracht habe, das hier zu tun, meinem Vater Lebewohl zu sagen. Fiona, Sarah und Siobhan stehen draußen und starren schweigend auf den Teppich, mit großen Augen und roten Backpfeifenwangen. Ich klopfe an die Schlafzimmertür, und Tante Una taucht Sekunden später mit diesem irre ruhigen Lächeln auf den Lippen auf, superstolz, dass sie die wichtigste Aufgabe im Haus übernommen hat. Sie wird ganz zittrig, als sie mich sieht, und sagt mir, dass das alles einfach furchtbar ist, und drückt mich fest an sich, während sie mich ins Zimmer zerrt.
Ich lass dich mit Matt allein, sagt sie, und rollt mich quasi in Richtung Doppelbett, während sie in der gleichen flüssigen Bewegung aus dem Zimmer huscht. Ich komme direkt neben ihm zum Stehen und starre nach unten. Er ist scheißblass und total mager, skelettmager, mit halb offen hängendem Mund, in den kaum ein Lufthauch rein- und keiner rausgeht. Seine Haare auf dem Kopf bestehen nur noch aus winzigen Flusen, und er ist immer noch in seinen geliebten, kratzig grauen Morgenmantel gewickelt. Sie haben ihm die Decke über den Bauch gezogen, aber der Morgenmantel ist weit offen, und man sieht einen winzigen Knochenkäfig mit drei rasierten Kreisen drauf, wo die Sauger von der Beatmungsmaschine hingehört haben. Die Maschine an sich ist eine große weiße Kiste mit acht Knöpfen in einer Reihe und einer kleineren Kiste obendrauf, die ein bisschen fernsehmäßig aussieht, und steht nutzlos auf dem Beistelltisch rum.
Dads Augen sind geschlossen.
Keiner zu Hause.
Ich nicke mir selbst zu. Ich weiß, was ich zu tun habe.
Ruhig entferne ich mich wieder von ihm, laufe in Richtung Tür und drehe den Schlüssel im Schloss um. Vorsichtshalber schiebe ich noch einen Stuhl unter die Klinke. Tante Una riecht augenblicklich Lunte, klopft leise gegen die Tür und fragt, ob bei mir alles in Ordnung ist da drinnen und ob sie Mam und meine Schwestern holen soll. Doch zu diesem Zeitpunkt bin ich schon längst in der Hocke und habe meine Haralinie ganz tief in den Erdmittelpunkt selbst eingestöpselt. Meine Atemzüge sind ultratief, und bei jedem Mal merke ich, wie mein Körper kribbelt und sich mit all diesen wahnsinnigen und unvorstellbaren und unerklärlichen Energien auflädt, die das Leben und den Raum und das Jenseits verbinden.
Ich strecke meine Hände über ihm aus und weiß, dass ich das Richtige tue. Ich lasse sie sinken, aber sein Feld ist komplett verschwunden. Es gibt nur noch ein Echo von dem Leben, das mal da war. Ich versuche, seine Chakras zu spüren, doch sie sind auch weg. Keine einzige Rotation weit und breit. Unbeeindruckt hole ich erneut unwahrscheinlich tief Luft und versuche es mit ein bisschen Sehen mit dem Dritten Auge. Ich zittere am ganzen Körper, doch dort vor mir ist noch immer nichts.
Das Klopfen an der Tür wird jetzt lauter. Diesmal ist es Tim Connell mit den Mädchen im Schlepptau. Er sagt, ich soll jetzt die Tür aufmachen, weil ich meiner gesamten Familie den Schrecken ihres Lebens einjage. Er will wissen, was zur Hölle ich treibe.
Jetzt bin ich drin. Mein Körper zittert wie verrückt. Aber diesmal nutze ich es aus. Es ist, als würde jeder einzelne verrückte Zitteranfall der letzten Zeit noch einmal wie ein gigantischer verrückt gewordener Vulkan in mir hochbrodeln, aber ein gutartiger. Ich sage mir, dass ich nur ein Gefäß bin, dass Helen recht hatte und dass ich eine Antenne für den gesamten Kosmos bin, dass es kein Ich gibt, dass es keine Zeit gibt, kein Vorher und kein Nachher, kein Leben und keinen Tod. Nur Energie.
Dad bewegt sich nicht. Nichts. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich werde mit seiner kosmischen Essenz sprechen. Ich versuche es mit der blöden Gott-Geist-Stimme, mit bibelmäßigen Anweisungen und allem Drum und Dran, aber es ist nicht das Richtige. Nichts. Stattdessen spreche ich mit ausgestreckten Armen, meiner Haralinie in Flammen und dem gesamten Kosmos, der durch mich pulsiert, mit meiner eigenen Stimme. Ich sage: Dad, wie geht’s dir? Ich sage: Dad, ich habe dich mein ganzes Leben lang vermisst. Ich sage: Ich bin dein Sohn, dein guter Junge, und mein ganzes Herz gehört dir so sehr, dass ich manchmal nicht weiß, wo ich hinsehen soll. Ich sage ihm, dass ich das alles für ihn tue. Dass schon immer alles, einfach alles, nur für ihn war. Und dass mein Leben sein
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