Nichts gegen Engländer
insgesamt
175.000 Tonnen im Wert von 530 Millionen Pfund. Damit liegen die Engländer zwar
hinter den Deutschen, aber sie machen viel mehr Gedöns um den Albtraum mit
Zipfeln.
Sie
nennen ihn seit dem Zweiten Weltkrieg liebevoll »banger«, also »Knaller«, weil
die Würste mit so viel Wasser gefüllt waren, dass sie in der Pfanne
explodierten. Natürlich kommt auch die längste Wurst der Welt aus
Großbritannien. Sie wurde 2000 in Sheffield hergestellt - ein Ungestüm von mehr
als 57 Kilometern Länge und einem Gewicht von 16 Tonnen. Da braucht der
Engländer viel von seiner anderen Spezialität, warmem Dünnbier, um diese
Wurstmasse herunterzuspülen. England ist das einzige europäische Land, in dem
der Alkoholverbrauch steigt. Im Schnitt schluckt jeder Inselbewohner 11,37 Liter
reinen Alkohol im Jahr. Wenn man das auf das englische Bier umrechnet, kommt
eine unvorstellbare Menge an Flüssigkeit zusammen.
Die
Engländer wählen die Wurst des Jahres, sie küren eine Wurstkönigin, sie haben
eine Internetseite, www.sausagelinks.co.uk , auf der die neuesten Nachrichten über diese
kulinarische Absonderlichkeit verkündet werden, und sie feiern jedes Jahr eine
Wurstwoche. Die wird vom Britischen Schweinerat organisiert. Damit ist nicht
die Regierung gemeint, sondern der Verband, dem Schweinezüchter und
Wurstindustrie angehören.
In
der Wurstwoche werden allerlei Aktivitäten rund um die Wurst für Kinder
angeboten, damit die Kleinen frühzeitig an das Nationalgericht herangeführt
werden. Doch nun ist ein Schatten auf den Stolz der britischen Küche gefallen.
Die Wurstaktivistin Sue Nelson hat zum Boykott der
Feierlichkeiten
aufgerufen. Sie behauptet, dass die meisten britischen Würstchen so armselig seien,
dass sie sich nicht Würstchen nennen dürften.
»Den
Leuten muss endlich klar werden, dass billige Industriewürstchen Scheiße sind«,
findet Nelson. Ja, glauben die Briten denn tatsächlich, dass die schlaffen
Massenprodukte, die sich in den Supermärkten stapeln, aus gehacktem Schweinefilet
bestehen?
Ein
Blick auf die Zutatenliste, die allemal länger als ein Durchschnittswürstchen
ist, müsste sie eines Besseren belehren. »In manchen Würstchen sind nur 25
Prozent richtiges Fleisch enthalten«, sagt Nelson, »der Rest besteht aus einer
Mischung von Wasser, Schweinefett, Kartoffelstärke, konzentriertem
Sojaprotein, Natrium und Koschenille.« Letzteres ist ein Farbstoff, den man aus
der Koschenille-Schildlaus gewinnt. Für ein Kilo Farbstoff müssen 150.000 Läuse
zerquetscht werden.
Nelson
ist keineswegs eine Wurstverächterin, im Gegenteil. »Eine echte Wurst ist ein
Objekt von unsagbarer Schönheit.« Die solle man sich aber lieber beim Fleischer
des Vertrauens besorgen. Vor betrügerischen Würstchen schütze auch die Plakette
der Fleischkommission - eine schweinchenfarbene Rosette mit Union Jack - nicht,
meint Nelson. »Ich weiß nicht, warum Nelson das tut«, ereifert sich
Wurstproduzent Tim Barkey. »Sie gefährdet einen ganzen Industriezweig.«
Der
hat aber bereits einen neuen Kundenkreis entdeckt. Als die Chinesen das neue
Jahr einläuteten - das Jahr des Schweins, wie britische Fleischer erfreut
feststellten -, legten sie für die chinesischen Einwanderer
Sonderwurstschichten ein.
Nicht
nur bei der Wurst, sondern auch bei der Schokolade haben Engländer eine
eigenwillige Vorliebe. Aufgrund der Gnade der späten Geburt muss ich keine
Dankbarkeit heucheln: Ich gehöre nicht zu der Generation, der nach dem Krieg
von britischen Soldaten eine Tafel Cadbury als Schokolade angedreht wurde.
Hunderttausende deutscher Kinder sind mit der irrigen Vorstellung aufgewachsen,
dass dieses ölige und pappsüße Zeug Schokolade sei. Das glauben die Briten bis
heute, aber sie halten ja auch die grellbunten Backwaren, die aussehen wie Chemie-Warnschilder,
für Kuchen.
Cadbury, 1824 in
Birmingham gegründet, hat in seiner Heimatstadt eine Art Disneyland für Kariesfreunde
eingerichtet, komplett mit aztekischem Urwald, einem Schokoladenregen, dem
größten Cadbury-Laden der Welt und einer Demonstration der
Schokoladenproduktion. Dafür muss man allerdings nicht nach Birmingham fahren,
das kann man auch im Internet haben. Auf der Seite des Unternehmens gibt es ein
Schokoladenspiel, bei dem man die richtige Menge der richtigen Zutaten in einer
bestimmten Zeit zusammenrühren und rechtzeitig auf Stop drücken muss - sonst
sagt der virtuelle Qualitätskontrolleur: »Überproduktion! Wollen Sie uns
ruinieren?«
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