Nichts ist endlich - Miller, K: Nichts ist endlich - The eternal ones - What if love refused to die: Jugendroman
verlassenen Bürgersteigen von Snope City drängten sich aufgekratzte Schüler, die den warmen Maitag genossen. Ein paar Neuntklässler rasten auf ihren Skateboards nur knapp an Haven vorbei. Hinter ihr kicherte eine Gruppe Mädchen. Ein Neuntklässler im Baseballtrikot hastete mit einem neuen Tiefschutz in der Hand aus einem Sportgeschäft. Nach und nach verschwanden die Schüler in Läden oder Einfahrten, bis außer Haven nur noch Leah Frizzell übrig war. Ihr Physikbuch an die Brust gedrückt und den Blick zu Boden gerichtet, marschierte sie auf der anderen Straßenseite über den Bürgersteig. Kein einziges Mal sah sie in Havens Richtung. Haven beschleunigte ihren Schritt, aber Leah tat es ihr gleich. Haven blieb stehen, um das Schaufenster der einzigen Apotheke der Stadt zu betrachten, doch als sie wieder hochblickte, war Leah ihr nur noch ein paar Schritte voraus. Erst als Haven vor der Kirchentür stehen blieb, bog das seltsame, rothaarige Mädchen in eine Seitenstraße ein und verschwand.
Haven war noch immer ziemlich gehetzt, als sie sich in einen der harten Ledersessel in dem elegant eingerichteten Büro des Pastors fallen ließ. Jede der Annehmlichkeiten war mit Spenden der angesehensten Bürger von Snope City finanziert worden. Imogene Snively selbst hatte das Buntglasfenster hinter dem Schreibtisch in Auftrag gegeben.
»Schön, dass du gekommen bist«, begrüßte der Pastor Haven herzlich. »Es ist schon eine ganze Weile her, dass wir uns mal in Ruhe unterhalten haben.« Dr. Tidmore strahlte Haven über seinen wuchtigen Eichenschreibtisch hinweg an. In den Jahren, seit sie sich das letzte Mal hier gegenübergesessen hatten, waren die Haare des Pastors silbergrau geworden und auf seiner Nase saß jetzt eine Drahtgestellbrille. Sein ehemals schroffer Nordstaatenakzent hatte sich der schleppenden Sprechweise des Südens etwas angeglichen. »Obwohl es mir vorkommt, als wäre es erst gestern gewesen, dass du als kleines Mädchen hier vor mir gesessen hast. Und jetzt sieh sich einer an, was für eine umwerfende junge Frau aus dir geworden ist.«
Haven mühte sich ein Lächeln ab, sagte aber nichts.
»Deine Großmutter ist anscheinend der Meinung, dass du Probleme hast.«
»Hat sie Ihnen erzählt, dass sie mich im Herbst nicht aufs College gehen lassen will?« Wut keimte in Haven auf. »Diese bösartige alte Schachtel will mich wohl für den Rest meines Lebens hier gefangen halten.«
»Na, na.« Dr. Tidmore lachte in sich hinein. »Ich weiß, du verstehst dich nicht besonders gut mit deiner Großmutter, aber wir wollen mal nicht übertreiben. Es gibt Dinge, über die selbst Imogene Snively keine Macht hat. Sobald wir dein kleines Problem in den Griff bekommen haben, lässt sie dich bestimmt auch nach New York aufs College gehen, da bin ich mir ganz sicher.«
»Na, da sind Sie aber der Einzige«, schnaubte Haven.
»Nun ja, ich will zumindest sehen, was ich tun kann. Möchtest du mir sagen, was am Wochenende bei euch passiert ist?«
Haven verschränkte die Arme vor der Brust. »Imogene hat Ihnen doch mit Sicherheit schon alles erzählt, was es da zu wissen gibt. Ich bin ohnmächtig geworden.«
»Hattest du wieder eine Vision?«
Haven zögerte. »Ja.«
Tidmore nickte. »Hast du wieder dieses Mädchen gesehen? Diese Constance?«
»Ja«, erwiderte Haven, überrascht, dass er sich daran erinnerte.
»Und den Jungen auch?«
»Ja.«
Dr. Tidmores Miene verfinsterte sich, als hätten sich soeben seine dunkelsten Ahnungen bestätigt. »Es gibt da etwas, das du wissen solltest, Haven. Deine Großmutter war heute bei mir. Sie hat etwas mitgebracht.« Er zog eine seiner Schreibtischschubladen auf und holte einen Schuhkarton heraus. Haven sah ein Stück Papier unter dem Deckel hervorlugen und keuchte auf, als sie die Handschrift auf der einen Seite des Zettels erkannte.
»Das gehört mir . Imogene muss mein Zimmer durchsucht haben. Sie hatte kein Recht, Ihnen das zu geben!«
Tidmore legte eine seiner langen, dünnen Hände auf den Karton. »Deine Großmutter versucht nur, dir zu helfen, Haven. Sie dachte nun mal, ich sollte das hier sehen.«
»Geben Sie mir das sofort zurück!«, verlangte Haven.
»Alles zu seiner Zeit, Haven«, entgegnete Dr. Tidmore jetzt strenger. »Erst einmal sollten wir über das sprechen, was sich in diesem Karton befindet. Ich fürchte, es ist leider der Beweis dafür, dass Ernest Moore kein gesunder Mensch war.«
»Es beweist lediglich, dass mein Vater geglaubt hat, ich sei
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