Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Schwäbisch zu den Dialekten, die zwar gern, aber fast immer falsch imitiert werden. Faustregel Nummer 1 lautet: Wo auch immer in einem deutschen Wort ein »st« vorkommt, wird es beim Schwaben zum »scht«. Kunscht, Gascht, Herbscht, sogar in zusammengesetzten Formen wie Geischtesblitz oder Roschtlaube. Kein »sch« – und das wird gerne falsch gemacht – gehört an Verkleinerungsformen wie Rösle, Häusle oder Fässle. Fauschtregel Nummer 2: Bei Verbdeklinationen gehört an die zweite Person Singular immer ein »sch«, dafür ist die Plural-Deklination, anders als im Deutschen, in allen drei Fällen gleich. Lassen Sie es mich anhand dreier Beispiele erklären.
Verb 1: gehen:
I gang, du gohsch, er/sie/es goht,
mir ganget, ihr ganget, sie ganget.
Verb 2: haben:
I han, du hosch, er/sie/es hot,
mir hen, ihr hen, sie hen.
Verb 3: sein:
I ben, du bisch, er/sie/es isch,
mir sen, ihr sen, sie sen.
Das ist doch klar und logisch aufgebaut, oder? Vielleicht würde Deutsch seinen Schrecken als Fremdsprache verlieren, wenn man im Ausland stattdessen Schwäbisch lehren würde?
Wichtig wäre im Lehrplan dann allerdings auch »fei«. Diese drei kleinen Buchstaben kommen nicht nur in Schwaben, sondern in ganz Süddeutschland etwa vom Oberrhein bis ins Erzgebirge vor, mit einem gewissen Schwerpunkt in Franken. Der dortige Dialekt klingt ohnehin immer wie eine Mischung aus beleidigt und vorwurfsvoll, und ich glaube, »fei« ist daran nicht ganz unschuldig. Wenn ein Berliner zum Beispiel sagt: »Det kannze do ni machen«, schwingt immer noch etwas Kumpelhaftes mit. Der gleiche Satz auf Fränkisch – »Des kannst fei net mochn« – kommt doch schon gleich viel sauertöpfischer und verurteilender daher.
Oder hier: Jemand macht blau. Das Telefon klingelt, der gesunde Ehepartner hebt ab, der Chef des Blaumachers ist dran. Im Hochdeutschen wird dann geflüstert: »Sag, ich bin nicht da.« Im Fränkischen: »Sagst fei, dass i net da bin.« Während das Erste etwas Freundschaftlich-Konspiratives hat, kommt Version zwei drohend und gefletscht daher, geradezu so, als ginge die größte Gefahr nicht davon aus, dass der Chef den Blaumacher erwischt, sondern dass sich der Partner des Blaumachers am Telefon verplappert.
Andererseits kann das »fei« im positiven Sinne ebenfalls verstärkend wirken. Wenn ein Hertha BSC-Fan nach einer Fußball-Partie sagt: »Det Spiel hatma jut jefalln«, würde er auf einer prozentualen Zufriedenheitsskala wahrscheinlich einen Wert zwischen 75 und 85 Prozent wählen. Wenn sich dagegen ein »Clubberer«, wie die Nürnberg-Fans besonders in der ARD-Bundesligakonferenz immer genannt werden, zu der Aussage hinreißen lässt: »Des Spiel hat mer fei gut gfalln«, rangiert seine Zufriedenheit auf selbiger Skala garantiert über 95 Prozent.
Die Zahl 95 erinnert mich an etwas, das ich an dieser Stelle nicht vorenthalten will. Und zwar an das deutsche Ortsschild mit den meisten Buchstaben. Abgesehen davon, dass der Ortsname Mühlrose-Ruhlmühle so klingt, als hätte ihn Loriots sprechender Hund erfunden, kommt das Verkehrszeichen auf prachtvolle 95 Lettern, Bindestriche nicht mitgerechnet. Besonders buchstabenintensiv ist die Beschilderung wegen der Übersetzung ins Sorbische: Miloraz-Rula, Gemeinde Trebendorf, Gmejna Trjebin. Die Sorben, dieses westslawische Volk im Osten Sachsens und im Süden Brandenburgs sind als nationale Minderheit anerkannt, folglich sind die Ortstafeln zweisprachig gehalten. Leider war der Ruhm von Mühlrose-Ruhlmühle, das zeichenreichste Ortsschild zu führen, vergänglich, weil der Niederschlesische Oberlausitzkreis im Jahr 2008 aufgelöst wurde und im deutlich kürzeren Landkreis Görlitz aufging. Es fielen also 34 Buchstaben weg, die durch nur 16 neue ersetzt wurden – futsch war der Rekord.
Nutznießer ist der Ortsteil Redewisch-Ausbau der Gemeinde Ostseebad Boltenhagen, die glücklicherweise im Landkreis Nordwestmecklenburg liegt, der allein schon 28 der für die Spitzenplatzierung nötigen achtzig Buchstaben mitbringt. Verschiebungen hätte es an der Spitze noch geben können, wenn sich bei der Kreisreform in Mecklenburg-Vorpommern ein anderer Name durchgesetzt hätte. Für den heutigen »Landkreis Mecklenburgische Seenplatte« stand nämlich auch die Bezeichnung »Landkreis Mecklenburgisch-Vorpommersche Seenplatte« zur Debatte, der schon aus stolzen 48 Zeichen bestanden hätte, aber leider nicht den Geschmack der abstimmenden Bevölkerung traf.
Auch an dieser Stelle des
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