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Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Titel: Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Frühling
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nordhessischen Bebra entschied sich, wo die Reise hinging: Ab an die Waterkant, Berliner Luft schnuppern, Frankfurt, Ruhrgebiet oder München? Egal. Wer in Bebra auf dem Bahnsteig stand, war nie richtig weit von der großen, weiten Welt entfernt. Eine Stadt mit einem Herzen aus Eisenbahngleisen, das seit dem Bau der ICE-Neubaustrecke nicht mehr schlägt.
    Auch um Kreiensen, am Westhang des Harzes gelegen, macht jeder ICE einen Bogen – um das ostwestfälische Altenbeken fast jeder. Dagegen hat Züssow in Vorpommern den ganz großen Wurf gelandet. Seit Einführung des Fahrplans 2012 und der Anbindung Stralsunds an das ICE-Netz kann sich die 1300-Einwohner-Gemeinde rühmen, Deutschlands kleinster ICE-Halt zu sein. Von dort aus zweigen nämlich alle Züge auf die Insel Usedom ab. Dennoch kann es passieren, dass in einem gut gefüllten ICE mehr Leute sitzen als in Züssow wohnen .
    Ähnliches gilt, wenn alle paar Stunden ein IC im 1500-Seelen-Ort Bullay an der Mosel hält. Früher hielten manche ICEs auf der Strecke von Hannover nach Berlin auch in Stendal. Was sich dort auf dem Bahnsteig abspielte, war jedes Mal ein herrliches Spektakel. In den Gesichtern der Stendaler stand die Frage geschrieben: »Warum sollte ich nach Berlin oder Hannover fahren?« Wohingegen man den Gesichtern der Zuginsassen ansah, dass sie die Frage beschäftigte: »Warum sollte ich in Stendal aussteigen?« Die Bahn hat dieses traurige Schauspiel beidseitig verständnisloser Mienen beendet. Der ICE von Hannover nach Berlin hält in Sachsen-Anhalt jetzt nicht mehr an.
    Die größte deutsche Stadt übrigens, in der gar kein Zug einen Stopp macht, ist Herten am Nordrand des Ruhrgebiets. Die 62000 Hertener können ihre Stadt nur mit dem Privat-PKW oder per Bus verlassen, auf Schienen geht gar nichts. Wer dennoch eine ÖPNV-Verbindung in die ehemalige Bergbaustadt sucht, muss Kampfgeist zeigen. Bei einer Beispielbuchung vom Dortmunder Hauptbahnhof ins etwa 35 Kilometer entfernte Herten, veranschlagt die Homepage der Bahn eine Reisezeit zwischen 1¼ und knapp zwei Stunden. Da muss man schon aufpassen, dass man es mit dem Rad nicht fixer schafft. Der zuständige Tarifverbund VRR kann das aber noch toppen, er schickt seinen Kunden auf eine fast zehnstündige Reise. Mit Umstiegen in Köln-Deutz, Koblenz, Mainz, Karlsruhe, Offenburg und Basel-Badischer Bahnhof. Der VRR kennt nämlich leider nur Herten in Baden, das im Kreis Recklinghausen ist der Suchmaske unbekannt. Achtung, flacher Witz: Das sind im vortrefflich organisierten NRW wohl die ganz normalen He rten!
    Eine Härte ganz anderer Art – nur weil es gerade um schlecht angebundene Orte geht – ist die Verpflichtung, beim Erwerb des Führerscheins Autobahnfahrten zu absolvieren. Das schreibt die Fahrschüler-Ausbildungsordnung, kurz FahrschAusbO (na gut, auch nicht so richtig kurz) vor. Klingt für die meisten Fahrschulen nach einer zu überwindenden Hürde. Sieht in Salzwedel allerdings anders aus. Das ist nämlich die deutsche Kreisstadt, die am weitesten von jeglicher Autobahnauffahrt entfernt liegt. Bis zur A39 bei Lüneburg im Norden sind es rund achtzig Kilometer, zur A2 im Süden sogar 81. Am flottesten erreicht man noch den Autobahnanschluss bei Wolfsburg nach nur sechzig Kilometern. Wenn Sie allerdings schon mal mit einem Fahranfänger sechzig Kilometer über die Landstraße getuckert sind, sind Sie mit den Nerven runter, lange bevor das erste blaue Schild am Horizont auftaucht. Ich fordere deswegen an dieser Stelle eine von Herzen kommende Würdigung der Fahrlehrer aus der Altmark. Diese Menschen mit Stahlseilen anstelle von Nervensträngen scheinen mir wahre Helden zu sein!
    In diesem Kontext fällt mir ein Spruch von meinem Fahrlehrer damals ein, der mir auf breitem Schwäbisch vorgetragen wurde. Er kam jeweils an sehr engen Stellen im Straßenverkehr zum Einsatz und lautete: »Glaubsch, du wirsch schmäler, wenn d’ langsamer fährsch?« Der Satz ist in sofern nicht schlecht, als er in der Sache völlig korrekt ist. Die Breite des Automobils schrumpft ja nicht mit abnehmender Geschwindigkeit. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass beim Passieren einer Engstelle mit Verve und sechzig Sachen wesentlich mehr fremde Außenspiegel zur Disposition stehen als beim Vorbeischleichen.
    Die Aussage wurde von meinem Fahrlehrer natürlich in fehlerfreiem Schwäbisch vorgetragen, weil der Mann außer bei Überlandfahrten die Stuttgarter Stadtgrenzen nur ungern verließ. Leider gehört

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