Nichts, was man fürchten müsste
es also, auf der Hut zu sein.
Doch was kümmert es den Tod, wenn wir ihn mit Renard hochmütig aus der Künstlergilde ausschließen? Wann hat er je die Anerkennung der Kunst gesucht? Zusammen mit seiner Kollegin, der Zeit, tut er einfach seine Arbeit, ein griesgrämiger Kommissar, der zuverlässig seine Quote von hundert Prozent erfüllt. Die meisten Künstler haben ein wachsames Auge auf den Tod. Manche sehen ihn als einen Antreiber zur Eile; andere vertrauen optimistisch auf eine rückwirkende Anerkennung durch die Nachwelt (obwohl: »Warum sollte die Menschheit morgen weniger dumm sein als heute?«); für wieder andere ist der Tod das Beste, was ihnen in ihrer Karriere passieren konnte. Nachdem Schostakowitsch festgestellt hatte, die Todesangst sei wohl das stärkste aller Gefühle, schrieb er: »Ironischerweise schaffen Menschen unter der Einwirkung dieser Angst Poesie, Prosa und Musik; sie versuchen also, ihre Bindung an die Lebenden und ihren Einfluss auf sie zu verstärken.«
Schaffen wir Kunst, um den Tod zu besiegen oder ihm zumindest die Stirn zu bieten? Um ihn zu überdauern, in seine Schranken zu weisen? Du kannst meinen Körper holen, du kannst das ganze wabbelige Zeug in meinem Schädel holen, in dem sich alles verbirgt, was ich an geistiger Klarheit und Vorstellungskraft besitze, aber was ich damit angefangen habe, das kannst du nicht wegnehmen. Ist das unsere geheime Botschaft, unsere Motivation? Höchstwahrscheinlich ja – auch wenn das sub specie aeternitatis (und selbst aus der Sicht von ein, zwei Jahrtausenden) ziemlich dämlich ist. Die stolzen Zeilen von Gautier, die mich einst so angesprochen hatten – alles vergeht, nur die unverwüstliche Kunst bleibt bestehen; Könige sterben, doch die erhabene Dichtkunst ist beständiger als Erz –, lesen sich jetzt wie ein pubertärer Trost. Der Geschmack ändert sich; Wahrheiten werden zu Klischees; ganze Kunstformen verschwinden. Auch der größte Triumph der Kunst über den Tod ist lächerlich temporär. Ein Romanschriftsteller mag auf eine weitere Generation von Lesern – mit ein bisschen Glück auch zwei oder drei – hoffen und meinen, damit werde er über den Tod frohlocken; doch in Wirklichkeit ist das nur ein Kratzen an der Wand der Todeszelle. Damit wollen wir sagen: Ich war auch hier.
Selbst wenn wir dem Tod wie auch Gott ab und zu ein wenig Ironie gestatten, sollten wir die zwei doch auseinanderhalten. Der wesentliche Unterschied ist nach wie vor: Gott mag tot sein, aber der Tod ist höchst lebendig.
Der Tod als Ironiker. Der locus classicus ist eine tausend Jahre alte Geschichte, auf die ich erstmals bei Somerset Maugham stieß. Ein Kaufmann in Bagdad schickt seinen Diener aus, um Vorräte einzukaufen. Dieser wird auf dem Markt von einer Frau angerempelt; er dreht sich um und erkennt, dass sie der Tod ist. Blass und zitternd rennt er nach Hause und bittet seinen Herrn, er möge ihm sein Pferd leihen: Er muss auf der Stelle nach Samarra reiten und sich verstecken, damit der Tod ihn nicht findet. Der Herr willigt ein; der Diener reitet fort. Dann geht der Herr selbst auf den Markt, spricht den Tod an und macht ihm Vorwürfe, weil er seinen Diener bedroht hat. Ach, antwortet der Tod, ich wollte ihm doch nicht drohen, das war nur eine Geste der Verblüffung. Ich war erstaunt, dass ich den Mann heute früh in Bagdad gesehen habe, wo ich doch heute Abend in Samarra mit ihm verabredet bin.
Und hier noch eine modernere Geschichte. Pawel Apostolow war Musikwissenschaftler, Komponist für Blaskapellen und der Mann, der Schostakowitsch sein Leben lang drangsalierte. Im Großen Vaterländischen Krieg kommandierte er als Oberst ein Regiment; später spielte er eine Schlüsselrolle in der Abteilung Musik des ZK . Schostakowitsch sagte über ihn: »Er kam auf einem weißen Pferd angeritten und vernichtete Musik.« 1948 zwang Apostolows Komitee den Komponisten zu einem Widerruf seiner musikalischen Sünden und trieb ihn fast in den Selbstmord.
Zwanzig Jahre später erlebte Schostakowitschs todesschwangere 14 . Symphonie eine »nichtöffentliche Premiere« im Kleinen Saal des Moskauer Konservatoriums. Im Grunde war es eine private Probeaufführung für sowjetische Musikexperten, bei der keine Gefahr bestand, dass das neue Werk die breitere Öffentlichkeit infizieren könnte. Vor dem Konzert hielt Schostakowitsch eine kleine Ansprache. Der Violinist Mark Lubozki erinnert sich, dass Schostakowitsch sagte: »Der Tod ist schrecklich, danach kommt
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