Nichts, was man fürchten müsste
Erklärung brauchte, klammerte ich mich daran – damals, als ein Beobachter meines Gefühlslebens womöglich gemeint hätte, ich sammle eigentlich nicht den Rest der Welt, sondern hätte mich eher auf seltene Briefmarken aus Norwegen und den Färöer Inseln spezialisiert.
Die Todesfurcht ist an die Stelle der Gottesfurcht getreten. Doch die Gottesfurcht – angesichts der Gefahren des Lebens und unserer Wehrlosigkeit gegen Schicksalsschläge unbekannten Ursprungs früher durchaus vernünftig – ließ wenigstens einen Spielraum für Verhandlungen. Wir haben den rachsüchtigen Gott zurechtgestutzt und als unendlich Gnädigen neu vermarktet; aus Alt haben wir Neu gemacht, wie bei den Testamenten und der Labour Party. Wir haben sein Götzenbild hochgehievt, auf Kufen gestellt und in eine sonnigere Gegend geschleppt. Mit dem Tod können wir das nicht machen. Der Tod lässt nicht mit sich reden oder durch schöne Worte in etwas anderes verwandeln; er weigert sich einfach, an den Verhandlungstisch zu kommen. Er muss sich nicht als rachsüchtig oder gnädig oder auch nur unendlich gnadenlos hinstellen. Beleidigungen, Klagen und Verachtung prallen einfach an ihm ab. »Der Tod ist kein Künstler«: Nein, und das würde er auch nie behaupten. Künstler sind unzuverlässig, der Tod dagegen lässt einen nie im Stich, er steht sieben Tage in der Woche auf Abruf bereit und arbeitet auch gern drei Achtstundenschichten hintereinander. Wenn Aktien auf den Tod ausgegeben würden, würde man sie sofort kaufen; man würde auf ihn wetten, auch wenn die Gewinnquote noch so gering wäre. Als mein Bruder und ich jung waren, gab es eine kleine Berühmtheit namens Dr. Barbara Moore. Das war eine Langstreckengeherin und missionarische Vegetarierin, die meinte, sie könne die Natur überlisten; einmal erklärte sie einer Zeitung ein wenig übereifrig, sie würde mit hundert ein Kind bekommen und hundertfünfzig Jahre alt werden. Sie hat nicht einmal die Hälfte geschafft. Sie ist mit dreiundsiebzig gestorben, und das nicht von der Hand eines nervösen Buchmachers. Merkwürdigerweise nahm sie dem Tod die Arbeit ab, indem sie ihr Ende herbeihungerte. Da hatte der Tod an der Börse gut lachen.
Atheisten der moralisch überlegenen ersten Kategorie (kein Gott, keine Angst vor dem Tod) erzählen uns gern, wir sollten nicht weniger über das Universum staunen, nur weil eine Gottheit darin fehlt. Es sah ja alles wunderbar und benutzerfreundlich aus, als wir uns einbildeten, Gott habe das Ganze speziell für uns veranstaltet, vom Ebenmaß der Schneeflocke und der vielschichtigen Anzüglichkeit der Passionsblume bis hin zur spektakulären Inszenierung einer Sonnenfinsternis. Doch warum sollte das alles weniger wunderbar und weniger schön sein, wenn es auch ohne eine höhere Macht zu haben ist? Warum sollen wir wie Kinder sein und einen Lehrer brauchen, der uns etwas zeigt, als wäre Gott eine bessere Ausgabe der Naturexperten im Fernsehen? Der antarktische Pinguin zum Beispiel gibt vor wie nach Darwin eine ebenso majestätische und komische, ebenso anmutige und tollpatschige Figur ab. Wir sollten erwachsen werden und gemeinsam den Zauber der Doppelhelix, das dunkle Glimmen des unendlichen Alls, den unablässigen Gefiederwechsel, an dem die Gesetze der Evolution sichtbar werden, und die geballten, schwer fassbaren Mechanismen des menschlichen Gehirns betrachten. Wieso brauchen wir einen Gott, der uns hilft, dergleichen zu bewundern?
Wir brauchen keinen. Eigentlich nicht. Und dennoch. Wenn das alles aus dem Nichts kommt, wenn es mechanisch nach einem Programm abläuft, das niemand entworfen hat, und wenn unsere Wahrnehmungen davon nichts als Mikromomente biochemischer Vorgänge sind, nichts als das Knacken und Knistern einiger Synapsen, was hat es dann mit diesem Staunen auf sich? Sollte es uns nicht ein bisschen suspekter sein? Ein Mistkäfer kann vor der Größe des gewaltigen Mistballs, den er da vor sich herrollt, durchaus eine primitive Form der Ehrfurcht empfinden. Ist unser Staunen womöglich nur eine vornehmere Variante? Vielleicht, könnte der Atheist der ersten Kategorie erwidern, aber zumindest gründet es sich darauf, dass man weiß, was der Fall ist. Man denke nur an die sentimentalen Hirngespinste jenes Rousseau-Jüngers, der behauptete, die Riefen in einer Melonenschale seien eigenhändig von Gott geschaffen, und der Allmächtige habe die Frucht gouvernantenhaft für seine Kinder in gerechte und gleich große Portionen eingeteilt.
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