Nichts, was man fürchten müsste
schuldet uns kein schönes warmes Gefühl in unserem Innern. Wenn es wahr ist, dann ist es wahr, und damit muss man halt leben.« Jawohl – verzieh dich und stirb. Natürlich hat Dawkins mit seiner Argumentation recht. Aber auch Robespierre hatte recht: Der Atheismus ist aristokratisch. Und der hochmütige Ton erinnert an die strafenden Hardliner des alten Christentums. Gott hat das Universum nicht zu deiner Bequemlichkeit eingerichtet. Das gefällt dir nicht? Pech gehabt. Du – ungetaufte Seele – kommst in die Vorhölle. Du – lästerlicher Onanist – geradewegs in die Hölle, gehe nicht über Los, und eine »Du kommst aus dem Gefängnis frei«-Karte gibt es für dich auch nicht. Du – katholischer Ehemann – hierhin; ihr anderen – abtrünnige Kinder und Ehefrau, die bei dem Atheisten Ayer einquartiert war – dahin. Bequemlichkeit kannst du vergessen. Das ist genau der Kasernenhof-Gott, den Jules Renard sich vorgestellt hatte und der allen, die am Ende im Himmel gelandet sind, ständig vorhält: »Ihr seid schließlich nicht zum Vergnügen hier.«
Werdet erwachsen, sagt Dawkins. Gott ist ein imaginärer Freund. Wenn ihr tot seid, seid ihr tot. Wer spirituelle Ehrfurcht erleben will, soll sich die Milchstraße durch ein Teleskop anschauen. Im Augenblick haltet ihr ein Kinder-Kaleidoskop gegen das Licht und redet euch ein, die bunten Glasscherben da drin hätte Gott hineingesteckt.
Werdet erwachsen. Am 17 . Juli 1891 machten Daudet und Edmond de Goncourt einen Morgenspaziergang und erörterten die winzige Chance auf ein Leben nach dem Tode. Edmond hätte zwar gern seinen geliebten toten Bruder Jules wiedergesehen, war aber dennoch überzeugt, dass wir durch den Tod »vollkommen vernichtet« werden, da wir »flüchtige Wesen sind, die sich nur wenige Tage länger halten als die, die nur einen Tag leben«. Dann brachte er ein originelles Argument vor, das sich aus der Menge ableitete wie Maughams argumentum e consensu gentium, für Goncourt aber zu dem entgegengesetzten Schluss führte: Selbst wenn es einen Gott gäbe, könnte man von ihm nicht verlangen, dass er jeden einzelnen Angehörigen des Men schengeschlechts mit einer zweiten Existenz nach dem Tod versorgt, denn das würde ihn buchhalterisch überfordern.
Dieser Gedankengang ist vielleicht eher geistreich als überzeugend. Wenn wir uns überhaupt eine Vorstellung von einem Gott machen können, dann ist die Fähigkeit, jeden Einzelnen von uns im Sinn zu behalten, tabellarisch zu erfassen, zu betreuen (und wiederauferstehen zu lassen), meiner Meinung nach so ziemlich das Mindeste, was wir als Anforderungsprofil erwarten können. Nein, das überzeugendere Argument gründet sich nicht auf Gottes Unfähigkeit, sondern auf unsere. Maugham formulierte das im ersten Eintrag des Jahres 1902 in Aus meinem Notizbuch so: »Die gewöhnlichen Durchschnittsmenschen scheinen mir nicht für die Ungeheuerlichkeit des ewigen Lebens geschaffen zu sein. Mit ihren kleinen Leidenschaften, ihren kleinen Tugenden und kleinen Lastern kommen sie im alltäglichen Leben ganz gut zurecht, doch das Konzept der Unsterblichkeit ist viel zu gewaltig für Wesen von so kleinem Format.« Bevor Maugham Schriftsteller wurde, hatte er eine medizinische Ausbildung absolviert und Patienten friedlich wie auch tragisch sterben sehen: »Und nie sah ich in ihren letzten Momenten irgendein Anzeichen dafür, dass ihre Seele ewig wäre. Sie sterben wie die Hunde.«
Mögliche Einwände: 1 . Auch ein Hund ist Teil der Schöpfung Gottes (und im Englischen sogar sein Anagramm). 2 . Ein Arzt konzentriert sich auf den Körper; wie soll er da merken, wo die Seele ist? 3 . Wieso schließt die Unzulänglichkeit des Menschen die Möglichkeit eines Weiterlebens der Seele nach dem Tod aus? Wieso glauben wir, dass wir über unsere Unwürdigkeit befinden können? Geht es nicht gerade um die Hoffnung auf Verbesserung, auf Erlösung durch Gnade? Natürlich sind wir unbedeutend, natürlich haben wir noch einen weiten Weg vor uns, aber ist das nicht gerade der springende Punkt – wozu gibt es sonst einen Himmel? 4 . Rückzugsposition à la Isaac Bashevis Singer: »Wenn ein Weiterleben arrangiert wurde …«
Doch Maugham hat recht: Wir sterben wie die Hunde. Besser gesagt – da die Medizin seit 1902 einige Fortschritte gemacht hat –, wir sterben, wie gut gepflegte, gut sedierte Hunde mit einer guten Krankenversicherung sterben würden. Aber immer noch wie Hunde.
In meiner Kindheit in einem
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