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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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Petrus wusste, dass es kein Weihrauch war, aber es erinnerte ihn an seine Ministrantenzeit –; und vom Uher-Kassettenband kam die Stimme Jerry Garcias, deren rauer Suggestion der Fotograf, Gerd Roellicke, seine Sprechweise angenähert hatte. »Oh Mann, das ist ja absolut groovy.« In der Baracke nannten sie ihn Grateful Gerd. Ein großer Raum, eigentlich die Kantine der jungen Kreativen, war durch ein Tischfußballspiel blockiert, wobei das Poltern der routierenden Stangen bei immer offenen Türen im ganzen Neubau zu hören war.
    Am nächsten Tag, auf dem Weg zur Agentur, fuhr Petrus einen Umweg über Unterbilk, vorbei an der alten Wohnung, um zu sehen, ob es die Traditionsdrogerie mit dem Holztresen noch gab. Dieser tanngrüne Namenszug, leicht schräggestellt, da war er. Ganz blass die Adresse der alten Inhaberin in der Glastür, aber hinter dem Tresen standen zwei junge Frauen, eine pausbäckige Blonde, der westfälisch-ländliche Typ, und eine Dunkle mit Discotolle und spöttischem Mund, zu grell auf Rot geschminkt. Die Vagina im Gesicht tragen, dachte Petrus. Er sagte:
    »Was würden Sie einem Mädchen von vierzehn Jahren empfehlen, um die Menstruation ab…, um, empfehlen bei der Monatsblutung.« Die beiden jungen Frauen sahen sich an. Sie verschwanden im System der Regale und kamen mit der ganzen Auswahl, den Binden von Camelia und Mimosept, dem amerikanischen Tampax und o.b. von Hahn, diversen Baumwolleinlagen und schützenden Slips.
    »Und?«
    Die Blonde: »Das gibt’s alles.«
    Die Dunkle: »Mehr ham’ wir nich’.«
    Petrus: »Und was würden Sie einer Vierzehnjährigen empfehlen?«
    Das Landmädchen machte auf Sphinx, die Discoqueen grinste schief: »Sie meinen, im Fall der ersten Periode?«
    Petrus: »Ja, und für die Zukunft.«
    Die Verkäuferinnen nestelten im Sortiment herum.
    Die Blonde: »Am besten wäre eigentlich, sie würde selber kommen.«
    Petrus: »Wer?«
    »Das Mädchen.«
    »Ach, sie ist so unglücklich. Und ihre Mutter ist verreist. Ich möchte ihr wirklich nicht das Falsche geben.«
    Das straffte die beiden. Sie standen jetzt grade. Ihre Gesichter wurden milde. Sie begannen, Petrus das Sortiment zu erläutern, die modernen Binden zum Einkleben, zum Einlegen, die isolierenden Höschen (und wie chic sie doch wären, heutzutage), Tampax mit seiner Einführhülse, »das ist hygienischer«, sagte die Blonde, »aber muss gekonnt sein«, sagte die Dunkle.
    »Und o.b.?«
    »Davon müssen wir abraten«, deklarierte die Blonde.
    »Nee, nee«, rief die andere, »die Dinger sind total zuverlässig. Mit dem Finger ziemlich tief reinschieben und am Bändchen wieder rausziehen, das flutscht.« Dann fing sie an zu gackern. Die Blonde errötete und wandte sich ab. Petrus kaufte alles. Die Dunkle sah ihm zu, wie er vor der großen Glasscheibe das Auto röhrend startete, ihr greller Mund offen.
    »Was war das denn für einer?«, fragte die Kollegin.
    »Einer mit Geld«, antwortete sie.
    Oberholtzer hatte zwei Konferenzräume »aalglatt« eingerichtet, mit Eamessesseln und Miró-Grafiken, und demdritten etwas »Altdeutsches« mitgegeben, damit Kunden wie Ernst Peters, Prokurist bei Carl Hahn, nicht fremdelten. So saß Petrus Schuller mit Ernst Peters und Oberholtzer im Hirschzimmer, wie die jungen Leute aus der Baracke es nannten, obwohl kein Hirsch zu sehen war, sondern ein kleines Gemälde aus dem späten neunzehnten Jahrhundert, das einen Gießer im Schein des Ofenfeuers feierte. Es gab einen Aktenschrank aus deutscher Eiche, einen eckigen Tisch statt eines runden und darüber einen gedrechselten Kranz mit sechs Limburger Gläsern, die geistesabwesend vor sich hin funzelten. Frau Beh hatte Kaffee in der Thermoskanne gebracht, Kaffeesahne, Würfelzucker, und sich zurückgezogen, so dass die Männer unter sich waren.
    Ernst Peters war ein Haudegen, ein Fossil aus Nachkriegszeiten, mit einer grauen Gesichtshälfte; wenn er diese zum Licht wandte, bekam sie ein wenig Farbe, und die andere Hälfte wurde grau. Er hatte sich durchgebissen, das sah man, wenn er die Zähne bleckte, durch die sein Atem pfiff. Seine Knochen schlotterten im Stresemann. Peters war der Typ, bei dem man nicht wusste, ob er bei der SS gewesen war oder im Widerstand oder ein anderes Geheimnis hatte, das er nicht preisgeben würde, nicht unter zwei Promille. Aber Petrus hatte die richtige Idee und fragte Peters nach der Geschichte der Firma Hahn.
    Hahn war ein Automann gewesen, in der letzten möglichen Nacht vor den Russen geflüchtet,

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