Nichts

mehr erwartet? Oder besitzt der Alte nur einen gewissen Rang, eine gehobene Stellung, wie ich eher vermuten würde.
       „Richtig!“, bestätigt Nathan.
       „Okay!?“ zögere ich erwartungsvoll und versuche das Alter des Mannes währenddessen zu schätzen.
       Recht zerknittert ist er ja, das kann man nicht übersehen. Würdige ihn so auf Ende neunzig. Wobei mich der doch recht scharfe Verstand und das volle Haar ein wenig stört . Eines ist jedenfalls sicher – hab‘ schon weit ältere Menschen gesehen.
       „Sie mustern mich so schön.“, bringt er mich mit seinem Scharfblick leicht in Verlegenheit. „Sie würden gerne wissen, wie alt ich bin? Also…, was denken Sie?“
       Ich will nicht unhöflich sein und entscheide mich auf: „Ende achtzig?“
       Er lacht. Ein ruhiges, sehr männliches Lachen.
       „Wäre ich eine Frau, Mister Barron, dann dürfte ich Sie jetzt wohl als Charmeur bezeichnen. Apropos Frauen…“, schwenkt er ab. 
       „Ich sollte mich bei Daisy noch entschuldigen. Ich hatte vergessen, ihr zu sagen dass unser Gast nicht eingeweiht ist. Und wie sie vielleicht bemerkt haben, war ihr das sehr unangenehm. Sie hasst es, vor solche Situationen gestellt zu werden, die Gute… Lorenz, könntest du sie bitte zu uns holen?“
       Während der Angesprochene wie selbstverständlich aufsteht und mit einem Lächeln auf dem Gesicht das Zimmer verlässt, beginne ich allmählich, ein gewisses Wohlbehagen zu spüren. Meine anfängliche Abneigung schwindet zunehmend, was definitiv etwas mit dem schwachen Licht zu tun hat. So fallen die beängstigenden Augen nicht besonders auf und meine angeborene Neugier kann sich ungehindert entfalten. Bei allen Vorbehalten, man kann diesen seltsamen Leuten nicht vorwerfen, unhöflich oder anstandslos zu sein. Ganz im Gegenteil, wie ich resümiere.
       „So viel Neues und aufregendes heute…, darf ich Ihnen denn jetzt etwas zu trinken anbieten?“, unternimmt Nathan einen weiteren Anlauf und unterbricht damit die peinliche Stille.
       „Ein Glas Wasser wäre phantastisch.“, räume ich ein.
       „Na sehen Sie. Ich werde Daisy gleich bitten, uns was zu bringen.“, als sie auch schon, noch immer etwas brüskiert, das Zimmer betritt.
       Erneut werde ich von ihrer Schönheit mitgerissen. Nun aufgeklärter und damit wesentlich lockerer, erhebe ich mich aus dem Sessel. Als Auslöser der Unstimmigkeit sollte ich vielleicht den ersten Schritt machen.
       „ Mam , ich muss mich für mein Benehmen vorhin bei Ihnen entschuldigen. Ich muss zugeben, etwas…, na ja…“.
       „Vergessen wir es“, unterbricht sie mich mit einer Stimme, die so Zart wie ihre gesamte Erscheinung ist.
       „Nein, es war mein Fehler, ich bitte Sie.“
       „Oh nein! Wenn wir unbedingt einen Verantwortlichen benötigen…“, entgegnet sie mit einem salzigen Blick auf den Alten, „dann sollten wir an anderer Stelle suchen.“
       Der Angesprochene streckt ihr liebevoll die Hand hin.
       „Ich bitte nochmals in aller Öffentlichkeit um Verzeihung, Liebes. Bekenne mich für schuldig!“, wobei ihm noch ein leises iebe ih rausrutscht.
       Äußerst damenhaft scheint die Frau zu akzeptieren und wendet sich wieder an mich.
       „Möchten Sie denn etwas trinken? Der alte Mann hier bietet unseren Gästen ja noch nicht mal was an. Ich hätte da einen frischen Kaffee gemacht…“
       De Noirbouclier strahlt im Hintergrund, beinahe verliebt. Ich antworte manierlich.
       „Ein Glas Wasser, wenn’s keine Umstände bereitet.“
       Während es sich Barkley seinerseits wieder im Sessel gemütlich macht, schaue ich Darlice hinterher, wie sie sich, nun merklich zufriedener, auf den Weg macht.
       „Was denken Sie?“, fragt Nathan.
       „Bitte?“, schaue ich ihn irritiert an.
       „Was denken Sie, wie alt diese hübsche Frau ist?“, präzisiert er und kommt somit zum ursprünglichen Thema zurück.
       „Keine Ahnung, Sir!“
       Mir fällt auf, dass ich den Mann zum ersten Mal hochachtungsvoll mit Sir anspreche. Dies mache ich üblicherweise nur bei Männern, denen ich eine gewisse Achtung entgegen bringe. Seltsam…
       „Seien Sie nicht so zimperlich! Wie alt?“
       „Sechzig? fünfundsechzig?“, was diesmal annähernd meiner tatsächlichen Meinung entspricht.
       „Gut. Was soll’s. Wenn ich Ihnen erzähle, dass unsere Lebenserwartung die der anderen Menschen bei weitem übersteigt, dann dürfte Ihnen das noch nicht