Nichts
sie vermutlich beobachtet, wie ich mir des Öfteren vorsichtig über die Bisswunde streiche.
„Oh, Nein!“, beruhige ich sie. „Es juckt nur ein wenig“.
„Gott sei Dank! Trotzdem, ich denke, wir sollten drüber reden?“
Ich schlage das Buch zu, lege es auf meinen Schoß und bin ganz Ohr.
„Möchtest du noch einen Tee?“, bietet sie an.
„Nein. Aber ein Glas Rotwein!“, scherze ich in dem Wissen, dass wir schon länger keinen Krätzer mehr im Haus haben. Ich greife meine Tasse und nehme daraus einen ernüchternden Schluck unseres gesunden Standardgetränks.
„Hab’ noch, danke.“
„So was darf nicht mehr passieren. Unser Glück ist verbraucht, hab ich das Gefühl.“, lehnt sie sich in ihren Sessel zurück.
„Bezeichnen uns die anderen nicht immer als Glückspilze? Irgendwann werden wir wieder es sein, dass verspreche ich dir!“
„Du brauchst mir nichts zu versprechen Schatz. Ich erwarte von dir keine Wunder. Wir müssen uns einfach nur besser organisieren.“
„Störe ich?“, kommt Leann um die Ecke.
„Nein Liebes“, beruhigt Julie.
„Komm und setz dich! Wir besprechen gerade unsere Zukunft.“
Ich rücke etwas zur Seite, klopfe neben mir auf’s Sofa und lade sie ein: „Und du gehörst dazu!“
„Oh, das ist aber nett.“, scherzt sie und lässt sich in die weichen Polster fallen.
„Wir reden gerade drüber, wie wir so was wie heute künftig vermeiden können. Alle Ideen sind willkommen.“, klärt Julie auf.
„Zuerst wäre ja mal interessant zu wissen, wie lange wir noch hier bleiben, oder nicht?“, bringt Leann die Sache auf den Punkt.
„Bist du wirklich noch immer scharf auf Chicago…, um sauberes Wasser betteln?“, frage ich etwas irritiert. Hatten wir das Thema nicht längst durch?
„Nein, natürlich nicht. Aber die Lage muss sich doch irgendwann mal wieder normalisieren!?“
„Normalisieren? Ich bin jetzt siebenundvierzig Jahre und kann mit Sicherheit versprechen, dass Normalisierung nicht ins Repertoire der menschlichen Rasse gehört.“
„Brian, komm schon!“, dämpft Julie meinen Pessimismus. „Das hilft nun wirklich nicht.“
„Okay, okay. Ich weiß ja. Aber was denkt ihr, warum wir mittlerweile nicht mal mehr einen einzigen Radiosender empfangen?“
Damit hatte ich ohne es zu wollen unseren wunden Punkt angesprochen. Da wir hier draußen keinen Fernsehempfang haben, ist die einzige Verbindung zur Außenwelt ein rauschendes VHF Signal im Radio. Bis vor zwei Wochen konnten wir damit immerhin noch vier oder fünf Sender empfangen. Seither ist es jedoch unheimlich still geworden. Ständig nur ein zischendes Piepsen, egal welchen Kanal man auch durchwählt. Wir sprechen nicht darüber. Versuchen es irgendwie zu ignorieren oder mit einem Defekt des Gerätes zu erklären.
„Also gut.“, entscheidet Julie souverän. „Wir fahren morgen nach Lake Havasu!“
Für einen Moment herrscht verdutztes Schweigen. Die wohlige Idylle hat sich soeben mit einem leisen Streich verabschiedet.
Bisher vermeiden wir es nämlich, so gut es geht, das Grundstück zu verlassen. Wir haben uns von Beginn an ganz bewusst mit Ackerbau beschäftigt und so im Laufe der Monate einen prächtigen Gemüsegarten angelegt. Das Klima hier eignet sich ganz hervorragend für die Landwirtschaft – vorausgesetzt, man verfügt über ausreichend Wasser, was wir irriger Weise ja tun, und über ein gutes Fachbuch.
In fünf kleinen, einfachen Gewächshäusern, die im Wesentlichen Schutz vor nächtlichen Angriffen der heimischen Fauna bieten sollen – beherbergen wir mittlerweile sehr ertragreich Kartoffeln, Möhren, verschiedene Kohlsorten, Bohnen, Unmengen von Kräutern, Knoblauch, Tomaten, Gurken ecetera pp . Unsere Obstbäume, die Julie und ich bereits kurz nach Kauf des Grundstücks gepflanzt hatten, tragen mittlerweile Äpfel, Birnen, Orangen und Zitronen. Der kleine Hühnerstall, der unsere Verpflegung mit frischen Eiern und irgendwann mal mit Fleisch abrunden soll, ist das Hobby von Leann und Stephan geworden und beginnt langsam ebenfalls einen Sinn zu ergeben. Lange Rede kurzer Sinn: wir sind, wenn man von Fertignahrung und Naschwerk einmal absieht, weitgehend autark.
„Wir brauchen ein paar Flaschen Wein!“, versucht sie die Situation zu entspannen und schaut mich erwartungsvoll an.
„Vielleicht…“ antworte ich zaghaft.
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