Nick Adams Stories
denken.»
«Haben Sie noch nie jemand umbringen wollen, Mr. John?»
«Doch. Aber es ist falsch. Und es klappt auch nicht.»
«Mein Vater hat einen Mann umgebracht.»
«Viel hat er nicht gehabt davon.»
«Er konnte nicht anders.»
«Man muß lernen, anders zu können», sagte Mr. John. «Und jetzt mach, daß du weiterkommst, Suzy.»
«Ich seh Sie dann heute abend, Mr. John», sagte Suzy. «Oder morgen früh … Ich wollte, ich würde noch hier arbeiten.»
«Ich auch, Suzy. Aber Mrs. Packard ist da anderer Ansicht.»
«Ich weiß», sagte Suzy. «So geht’s halt immer.»
Unter einem schrägen Schutzdach, das sie sich am Rand des Hochwaldes gebaut hatten, lagen Nick und seine Schwester auf einem Lager aus Zweigen. Von hier aus sah man über den Hang des Hügels bis zum kiefernbestandenen Sumpf und den blauen Kuppen, die sich dahinter erhoben.
«Wenn’s unbequem ist, Littless, können wir die Tannenzweige noch mit Springkraut aufpolstern. Heute abend werden wir müde sein, da langt das schon. Aber morgen können wir’s uns richtig schick herrichten.»
«Es ist ein herrliches Gefühl», sagte seine Schwester. «Lieg doch mal ganz entspannt, damit du’s richtig fühlst, Nickie.»
«Es ist ein recht guter Lagerplatz», sagte Nick. «Und kaum zu sehen. Wir werden auch nur ganz kleine Feuer machen.»
«Kann man das nicht sehen, drüben auf den Hügeln?»
«Möglich», meinte Nick. «Ein Feuer kannst du nachts weit sehen. Aber ich werd eine Decke dahinter aufspannen; dann sieht man nichts.»
«Wär das nicht fein, Nickie, wenn wir bloß so hier wären, zum Vergnügen? Wenn keiner hinter uns her wäre?»
«Fang nicht so früh an, so was zu denken», sagte Nick. «Es hat ja gerade erst angefangen. Außerdem, wenn wir bloß zum Vergnügen hier wären, dann wären wir gar nicht hier.»
«’tschuldige, Nickie.»
«Schon in Ordnung, Littless … Hör mal, ich geh runter zum Bach, ein paar Forellen holen fürs Abendessen.»
«Kann ich nicht mitkommen?»
«Du bleibst hier und ruhst dich aus. Du hast einen schweren Tag hinter dir. Lies ein bißchen oder bleib einfach still liegen.»
«War schon eine Schinderei, die Kahlschläge, was? Mir ist es mächtig schwergefallen. Hab ich mich nicht blöd angestellt?»
«Du warst prima. Du warst auch prima beim Lageraufschlagen. Aber jetzt ruhst du dich aus.»
«Haben wir denn keinen Namen für das Lager?»
«Nennen wir’s Lager Nummer Eins», sagte Nick.
Er stieg den Hügel hinab, dem Bach entgegen. Kurz ehe er ihn erreichte, blieb er stehen, schnitt sich eine etwa vier Fuß lange Weidengerte ab und glättete sie, ohne die Rinde abzuschälen. Er sah das klare, rasch fließende Wasser vor sich. Der Bach war schmal und tief und seine Ufer waren hier, kurz ehe er den Sumpf erreichte, mit Moos bewachsen. Das dunkle, klare Wasser schoß dahin, und hier und dort, wo sich Wirbel bildeten, wölbte sich seine Oberfläche empor. Nick ging nicht zu nahe heran, denn er wußte, daß die Uferkanten von der Strömung unterhöhlt waren, und er wollte die Fische nicht dadurch verscheuchen, daß er zu dicht ans Wasser trat.
Es muß jetzt hier oben eine ganze Menge geben, dachte er. Der Sommer ist bald vorbei.
Aus einem Tabaksbeutel, den er in der linken Brusttasche seines Hemdes trug, nahm er eine Rolle Seidenschnur, schnitt ein Stück ab, etwas kürzer als die Gerte, und befestigte es an ihrem oberen Ende, das er leicht eingekerbt hatte. Dann brachte er an der Leine einen Haken an, den er gleichfalls dem Tabaksbeutel entnahm, und prüfte den Zug der Schnur und die Biegsamkeit der Gerte, indem er den Haken am oberen Ende festhielt. Jetzt legte er seine Angelrute beiseite und ging zurück bis zu der Stelle, wo die Birken am Rand des Baches an Kieferngehölz grenzten. Hier lag ein kleiner, schon seit einigen Jahren abgestorbener Birkenstamm. Er drehte ihn um und fand darunter mehrere Regenwürmer. Sie waren nicht groß, aber sie waren schön rot, und sie bewegten sich lebhaft. Er legte sie in eine flache, runde Blechdose, die einmal Kopenhagener Schnupftabak enthalten hatte und in deren Deckel jetzt Luftlöcher gebohrt waren. Er streute ein wenig Erde über die Würmer und rollte den Stamm in die alte Lage zurück. Das war nun schon das dritte Jahr, in dem er an eben dieser Stelle Köder gefunden hatte; jedesmal hatte er den Stamm wieder in die ursprüngliche Lage zurückgerollt.
Wieviel Wasser dieser Bach tatsächlich führt, dachte er, das weiß kein Mensch. Aber in dem bösen
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