Nick aus der Flasche
vor seinem Auto hielt.
Julie schnappte ebenfalls nach Luft und stützte sich am Fahrzeug ab. Wortlos reichte sie ihm ein frisches Taschentuch.
Er steckte das Medaillon in die Hosentasche, tupfte sich die feuchten Lider ab und schnäuzte sich.
»Danke, dass ich Emma sehen durfte«, sagte sie leise.
Schulterzuckend erwiderte er: »Ich bin froh, dass du sie so gesehen hast, wie ich sie kannte.«
»Sie war wirklich wunderschön.«
»Ich habe sie aber nicht nur wegen ihrer Schönheit geliebt.« Er erinnerte sich, wie sie sich stets liebevoll um die kleineren Heimkinder gekümmert hatte und für einige wie eine Ersatzmama gewesen war. »Sie hatte ein großes Herz.«
»Bis zuletzt«, wisperte Julie und schloss ihn in die Arme.
Sich an ihr festzuhalten war viel besser, als sich an ein Auto zu klammern. Wenn er Julie nicht hätte, wüsste er nicht, wie er den Schmerz überleben sollte. Er steckte die Nase in ihr Haar und inhalierte ihren ganz eigenen Duft, der sich mit dem Geruch ihres Shampoos mischte.
»Ich kann gar nicht glauben, dass ich einen Geist gesehen habe«, murmelte sie an seiner Brust. »Wie ging das?«
»Vielleicht, weil ich es mir für dich gewünscht habe.« Er löste sich langsam von ihr und deutete auf den Eingang des Krankenhauses. »Siehst du den Mann in dem Rollstuhl, der vor den Glastüren auf und ab fährt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ist er auch ein Geist?«
»Hm.« Allerdings machte er keinen furchteinflößenden Eindruck, zumindest hatte er keine sichtbaren Verletzungen.
»Zum Glück nicht, war wohl nur eine einmalige Sache.« Sie atmete auf und schaute ihn offen an. »Sollen wir zum Notar fahren?«
»Ja«, sagte er matt. Eigentlich wollte er das alles gar nicht und hatte keine Lust auf diesen Mr. Grover, doch es war Emmas Wunsch gewesen und den würde er ihr erfüllen.
Kapitel 12 – Heimweh
Ohne Nick, allein in ihrem Zimmer – das fühlte sich seltsam an.
Julie stand am Fenster, drückte die leere Flasche an ihre Brust und betrachtete die Abenddämmerung. Es war bereits nach neun, bald würde es dunkel sein, und Nick befand sich ganz allein in Mrs. Warrens Haus. Dort würde er auch übernachten.
Was, wenn ihn Albträume heimsuchten?
Seufzend schaute sie auf das Puppenbett, das sie auf ihren Nachttisch gestellt hatte. Für den Fall, dass Nick doch noch kam. Aber wenn sie an sein Ehrgefühl dachte, würde das eher nichts werden.
Nachdem sie beim Notar gewesen waren, bei dem Nick ein paar Mal schnippen musste, damit alle Daten zusammenpassten – der alte Mann glaubte bestimmt, Nick würde an einem Tick leiden –, waren sie zu Emmas Haus gefahren. Kaum hatten sie es betreten, rief Connor an und wollte Nick persönlich sprechen. Da Julie auf laut gestellt hatte, bekam sie alles mit. Con wollte wissen, ob Nick bereits eine Bleibe gefunden hatte.
»Ja, ich bin gerade da«, sagte er. »Hier werde ich von jetzt an wohnen.«
Julie nahm ihm das Smartphone aus der Hand. »Zufrieden, Bruderherz?«
»Sehr zufrieden«, antwortete er. »Bei wem ist Nick jetzt?«
Sie erzählte ihm die Kurzfassung von Mrs. Warrens Tod und dass Nick nun ihr Haus geerbt hatte. »Daher ist es wohl am besten, wir behaupten, Mrs. Warren wäre seine Tante gewesen.«
Connor fand die Idee gut. »Dann sehen wir uns Freitag. Brav bleiben, ihr beiden«, sagte er und legte auf.
Brav bleiben … War es für ihren Bruder so offensichtlich, wie gern sie ihn hatte? Julie schluckte und wagte nicht, Nick anzusehen. Hier waren sie ganz allein. Abermals dachte sie an die Küsse, Nicks weiche Lippen und seine streichelnden Hände. Es kam ihr vor, als läge es Ewigkeiten zurück, dass sie sich so nahegekommen waren. Doch nachdem Emmas Tod eine alte Wunde aufgerissen hatte und ihr süßer Dschinn sehr geknickt aussah, erlaubte Julie sich nicht mehr, an diese vertraute Zweisamkeit zu denken. Sie sollte endlich aufhören, sich in Nick zu verlieben. Da draußen gab es so viele andere Jungs, die nicht aus einer Flasche kamen.
Sie streiften durchs Haus, besahen sich alle Räume und fanden im Schlafzimmer schließlich eine Kiste mit alten Fotos, Ordner mit Vermisstenanzeigen sowie ein Tagebuch, in das sich Nick sofort vertiefte. Daraufhin war Julie nach Hause gefahren, um ihm Privatsphäre zu gönnen. Sie würde ihn morgen Früh mit dem Wagen abholen, dann Martin aufgabeln und zur Schule fahren. Spätestens in einigen Stunden hatte sie ihren Dschinn also wieder.
*
Zwei Stunden später lag sie im Bett und konnte nicht
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