Nick aus der Flasche
»Er wird den Urlaub canceln!«
»Dann sag ihm einfach nichts«, flehte Julie. »Es ist ja auch gar nichts passiert. Wir haben nur noch was für die Schule vorbereitet und es ist total spät geworden und danach sind wir eingeschlafen.« Was für eine miserable Ausrede.
Mom verschränkte die Arme vor der Brust, wobei sie Nick einen scharfen Blick zuwarf. »Ich hab nicht bemerkt, dass du gestern noch vorbeigekommen bist.«
»Es war wirklich schon spät«, sagte er zerknirscht. »Aber da gab es noch etwas Dringendes zu besprechen.«
»Dann war das also doch dein Auto, das ich heute Morgen am Ende der Straße gesehen habe.«
Julie hatte es erst in einer Nebenstraße parken wollen, war dann aber zu faul gewesen, ein Stück zu gehen. Mom bekam auch immer alles mit!
Ihre Mutter musterte sie unverhohlen, und Julie wurde es abwechselnd heiß und kalt. Wieso hatte sie vergessen, die Tür abzusperren? Gut, sie hatte nicht mit Nick gerechnet, aber sie hätte das ja immer noch machen können. Nur war sie abgelenkt gewesen. Nicks Gefühle für sie hatten sie überwältigt.
Plötzlich wurde Moms Gesichtsausdruck weich, ebenso ihre Stimme. »Du warst traurig wegen Mrs. Warren, nicht wahr?«
Julie riss den Mund auf, doch bevor sie etwas sagen konnte, setzte ihre Mutter hinzu: »Connor hat uns am Telefon alles erzählt. Dass Mrs. Warren deine Tante war und du ihr Haus geerbt hast. Es tut mir so leid.«
Connor, dieses Plappermaul! Julie ärgerte sich über ihren Bruder, aber früher oder später wäre ohnehin jemandem aufgefallen, dass Nick in dem Haus lebte.
»Können wir irgendetwas für dich tun?«, fragte Mom ihn.
»Das ist wirklich lieb, aber ich komme klar.«
»Du kannst immer zu uns kommen, wenn du Hilfe brauchst.«
Er räusperte sich. »Danke. Das weiß ich zu schätzen.«
Dann wurde Moms Stimme wieder energischer, und zu Julie gewandt sagte sie: »Connor wird ein wachsames Auge auf dich haben. Auf euch beide. Keinen Herrenbesuch, solange wir weg sind, und du bist jeden Tag spätestens um acht Uhr abends zu Hause!«
»Aber … Mom!«
Ihre Mutter hob den Finger. »Keine Widerrede, junge Lady, oder ich verzichte freiwillig auf meinen Urlaub. Wie soll ich den jetzt noch genießen können?«
Nun setzte sich auch Nick auf. »Diese Unannehmlichkeiten tun mir wirklich leid, aber zwischen Julie und mir ist nichts passiert. Es wurde spät, wir haben lange geredet, waren müde … Ich würde auch niemals …« Mit knallrotem Kopf räusperte er sich. »So einer bin ich nicht, Ma’m.«
Ma’m? Oh Mann, er war ja so ein Schauspieler! Und jetzt legte er auch noch einen mitleiderregenden Hundeblick auf. Dafür himmelte Julie ihn nur noch mehr an.
Immerhin schien Mom sein reuevolles Auftreten zu besänftigen, denn ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen. »Na gut, ich sage nichts, wenn ihr anständig bleibt, solange wir weg sind. Und ihr lasst euch erst beim Frühstück blicken, wenn Thomas zur Tür raus ist.«
»Abgemacht«, erwiderten sie unisono, woraufhin Mom endlich das Zimmer verließ.
Mit einem gemurmelten Fluch ließ Nick sich zurücksinken. Plötzlich war er nicht mehr rot im Gesicht, sondern weiß. »Verdammt, was denkt deine Mom jetzt von mir?«
»Ist da jemand frustriert, nicht mehr Mrs. Reynolds Liebling zu sein?« Julie war unendlich erleichtert, heil aus der ganzen Sache herausgekommen zu sein, dass es ihr völlig egal war, was ihre Mutter von ihm dachte.
»Du bist so doof«, sagte er und warf ein Kissen nach ihr.
*****
Nick bog in die Straße ein, in der Martin wohnte, und stellte das Auto am Straßenrand ab. Hier sah es kaum anders aus als in der Ramona Avenue. Ein Häuschen reihte sich an das andere, wobei es einen Gemischtwarenladen in der Nähe gab, auf dem in großen roten Lettern »Oleson’s General Store« stand.
»Ich hole ihn«, sagte Julie und stieg aus.
Nick schaute ihr hinterher und wunderte sich, warum sie sich aufgeregt mit Martins Mutter unterhielt, gleich nachdem sie die Tür geöffnet hatte. Die kleine dunkelhaarige Frau gestikulierte wild mit den Händen.
Julie drehte sich um und winkte ihm.
Irgendetwas war passiert. Hastig zog er den Schlüssel ab, um das Fahrzeug ebenfalls zu verlassen.
»Können wir mit ihm sprechen?«, fragte Julie Martins Mom, als Nick bei ihnen ankam.
»Natürlich, kommt rein. Er ist in seinem Zimmer.«
Nick stürmte hinter Julie die Treppen nach oben. »Was ist denn los?«
»Martin wurde gestern nach der Schule verprügelt«, sagte sie über
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