Nick aus der Flasche
den Kopf und streichelte über sein Haar. »Soll ich die Flasche holen?«
»Ich kann ohne mein Fläschchen einschlafen, Mama.« Nick versuchte, einen möglichst missbilligenden Blick hinzubekommen, was Julie ein mildes Lächeln entlockte. »Du siehst müde aus.«
Er fühlte sich tatsächlich schläfrig. Gähnend rollte er sich auf die Seite und schloss die Lider. »Ich hole dich morgen zur Schule ab.«
Er spürte, wie sie einen Kuss auf seine Wange drückte und hörte noch, wie sie den Raum verließ, dann griff die Dunkelheit mit finsteren Klauen nach ihm und zog ihn in einen traumlosen Schlaf.
***
Am Donnerstagmorgen erwachte Nick viel zu früh. Draußen war es noch dunkel, er musste sich nicht beeilen. Immerhin fühlte er sich wieder gestärkt, auch ohne Flasche, und sogar das Zaubern funktionierte wieder. Erleichtert blieb er noch eine Weile liegen, aber als er ständig Julie vor Augen sah und wie sie sich unter ihm geräkelt hatte, stand er auf, um sich abzulenken. Er stöberte ein wenig in Emmas Sachen und las einige Tagebucheinträge, ließ es jedoch bald bleiben, weil ihm das Herz schwer wurde. Emma hatte seinetwegen furchtbaren Liebeskummer gehabt, bis Bill in ihr Leben getreten war.
Und Julie war nun in sein Leben getreten …
*
Zwei Stunden später machte er sich daran, sie abzuholen. Sie stand bereits an der Straße und brachte ein schüchternes »Hi« hervor, als sie einstieg. Ihre Wangen waren fast so rot wie die Sandalen, die sie heute trug. »Wie geht’s dir?«
»Bin wieder okay.«
»Schön.« Ihre Wangen wurden noch dunkler.
Nick fuhr los. Ihn machte das Schweigen, das sich zwischen ihnen ausbreitete, nervös. Ob er sie auf gestern ansprechen sollte?
Gerade, als er einen einfallslosen Spruch zum wunderschönen Wetter abgeben wollte, sagte sie: »Wir brauchen Martin heute nicht mitnehmen, er fährt mit Evan.«
Erleichtert atmete er durch, froh, dass sie ein anderes Thema angeschnitten hatte. »Dann geht es ihm wieder gut?«
»Er hat mich gestern Abend noch angerufen. Er sah wohl schlimmer aus, als es war.«
»Na, Gott sei Dank.« Das waren wenigstens erfreuliche Neuigkeiten.
»Oder hast du nachgeholfen?«
Er zuckte mit den Schultern. Es hatte ihm wehgetan, Martin verletzt zu sehen, weil es auch noch seinetwegen geschehen war, und Julie hatte es ebenfalls traurig gemacht. »Vielleicht unbewusst. Da war schon ein Gedanke, seine Verletzungen schneller heilen zu lassen, aber seine Eltern sollten ja auch keinen Verdacht schöpfen.«
»Egal, wie es war … du hast ein gutes Herz und Martin ist auf dem Weg der Besserung.« Sie lächelte ihn so ehrlich an, dass er Magenflattern bekam. »Ich hab ihm auch gesagt, dass Josh ihn in Ruhe lassen wird.«
Josh … Über den Kerl wollte er jetzt nicht sprechen, dennoch sagte er: »Ich bin ja gespannt, ob er sich wirklich bei Martin entschuldigt.«
»Ich denke schon.«
Julie war einfach zu warmherzig. »Ist Martin mit Evan zusammen?«
Sie grinste. »Falls ja, hätte er es mir bestimmt erzählt.«
»Wissen seine Eltern eigentlich, dass er auf Jungs steht?«
»Himmel, nein, die sind fast so streng wie Mormonen, Homosexualität ist bei denen eine Todsünde. Martin hat Schiss, seine Eltern könnten Wind von seiner Neigung bekommen, immerhin vermuten ja einige an unserer Schule, dass er schwul ist.«
»Ist er deshalb so oft mit dir zusammen? Damit niemand Verdacht schöpft?«
Julie schüttelte den Kopf. »Wir kennen uns schon so lange. Eigentlich sind wir wie Geschwister, aber er hat mir mal gestanden, dass seine Mutter wissen wollte, ob wir ein Paar sind. Obwohl er sie beruhigen konnte, hat sie ihm eine Predigt über Sex vor der Ehe gehalten und mir gleich dazu. Mann, war das peinlich!« Das Grinsen gefror in ihrem Gesicht. Ohne es zu wollen, hatte sie genau das Thema angesprochen, das anscheinend nicht nur er vehement meiden wollte.
Nick räusperte sich. »Martin ist echt ein netter Kerl, ich mag ihn.«
Zum Glück war der Weg nicht allzu lang, und so reichte der Gesprächsstoff über Martin aus, bis sie auf den Schulparkplatz einbogen.
»Sieh an«, sagte Julie und deutete aus dem Fenster. »Joshs Auto hat neue Reifen. Hat er die dir zu verdanken?«
Nick verdrehte die Augen. »Bei aller Nächstenliebe – das würde zu weit gehen.«
Grinsend stupste sie ihn an, und das löste endlich die Spannung zwischen ihnen. Vielleicht sollten sie den gestrigen Vorfall einfach stillschweigend unter den Tisch kehren. So etwas durfte ohnehin nicht
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