Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
dazu 551
gebracht haben, meine Nummer preiszugeben; dann
hatten sie mein Mobiltelefon angepeilt, das eingeschaltet geblieben war, weil ich auf seinen Anruf gewartet hatte.
Hätte ich Euan oder Simmonds gegenüber zugegeben, daß sich die einzige Sicherungskopie des Materials auf der Festplatte meines Laptops befand, und ihnen das Gerät ausgehändigt, wäre ich jetzt tot. Sowie alles Material sichergestellt war, wäre ich als unerwünschter Zeuge beseitigt worden.
Hatte Simmonds mit Euan vereinbart, daß er ihn
irgendwann nach unserem Treff anrufen würde? Euan war über drei Stunden weit entfernt, und der tote Simmonds würde bald aufgefunden werden. Wenn Euan von dem Mord erfuhr, würde er kein Risiko eingehen: Er würde mit Kelly verschwinden oder sie womöglich
gleich umbringen. In beiden Fällen wäre sie für mich verloren gewesen. Ich konnte sie übers Mobiltelefon anrufen und auffordern, aus dem Haus zu flüchten, aber was hätte das genutzt? Euans Haus lag völlig einsam in einer Wildnis aus Hügeln, Gras, Felsen und Schafmist. Er hätte sie mühelos aufgespürt.
Ich konnte die Polizei anrufen – aber würde sie mir glauben? Ich konnte ein paar Stunden mit dem Versuch vergeuden, sie zu überzeugen, bis es dann zu spät war.
Oder sie fühlte sich berufen, Euans Haus zu umstellen und ihn aufzufordern, sich zu ergeben. Das Resultat wäre das gleiche gewesen.
Einen Augenblick lang dachte ich auch an Big Al.
Hoffentlich hatte er’s geschafft, sich rechtzeitig abzusetzen. Geld hatte er bestimmt genug. Wenn er mir 552
vierhundert Mille überwiesen hatte, hatte er bestimmt achthundert selbst behalten. Nein, um den alten Fettsack brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Ich strich ihn aus meinen Gedanken.
Auf einer Hinweistafel wurde die Raststätte
unmittelbar vor dem Flughafen Heathrow angekündigt.
Ich hatte eine Idee.
Ich bog von der Autobahn zur Raststätte ab und fuhr auf den Parkplatz. Jetzt brauchte ich nur noch eine Telefonzelle zu finden und ein Gespräch zu führen.
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In der Tankstelle herrschte lebhafter Betrieb. Ich fand erst hundert Meter weiter einen Parkplatz. Als ich ausstieg, öffnete der Himmel seine Schleusen. Bis ich die vier Telefonzellen vor dem Burger King erreicht hatte, war ich bis auf die Haut durchnäßt. Die beiden ersten Apparate waren Kartentelefone. Ich hatte ungefähr drei Pfund in Kleingeld in der Tasche – nicht genug. Ich hastete in den Shop und fuhr mir mit einem Jackenärmel übers Gesicht, um das Blut notdürftig abzuwischen. Ich kaufte eine Zeitung mit einem Fünfer, sah die Kassiererin besorgt mein Gesicht mustern und verließ den Laden.
Dann ging ich wieder hinein und kaufte mit einem
Zehner eine Packung Rolos. Die Frau wirkte noch
ängstlicher. Sie war sichtlich erleichtert, als ich das Wechselgeld einstrich und hinauslief.
Als ich die Nummer meines Telefons eintippte, spürte ich, wie sich mein Magen verkrampfte. Hatte Kelly das Telefon geladen und dann eingeschaltet gelassen?
Warum eigentlich nicht? Sie war bisher immer
zuverlässig gewesen.
Das Telefon begann zu klingeln.
Trotz meiner Aufregung hatte ich plötzlich einen
weiteren Grund zur Sorge. Was würde ich tun, wenn Euan das Telefon an sich genommen hatte? Sollte ich einfach auflegen oder versuchen zu bluffen, um
irgendwie herauszubekommen, wo sie war?
Für lange Überlegungen blieb keine Zeit mehr. Das Klingeln verstummte, und ich hörte eine leise, zögernde 554
Stimme. »Hallo? Wer ist da?«
»Hi, Kelly, ich bin’s, Nick«, sagte ich so beiläufig wie möglich. »Bist du allein?«
»Ja, du hast mich geweckt. Kommst du jetzt zurück?«
Ihre Stimme klang müde und verwirrt. Während ich
angestrengt versuchte, die passende Antwort zu finden, sprach sie zum Glück weiter. »Euan hat gesagt, daß ich vielleicht einige Zeit bei ihm bleibe, weil du verreisen mußt. Aber das ist nicht wahr, stimmt’s, Nick? Du hast versprochen, daß du mich nie wieder allein läßt.«
Die Verbindung war schlecht. Ich mußte mir das
andere Ohr zuhalten, um Kelly trotz des Regens, der aufs Glas der Telefonzelle prasselte, zu verstehen. Nebenan telefonierte ein Fernfahrer mit seinem Chef, dem er lautstark und aufgebracht erklärte, er könne wegen des Fahrtenschreibers nicht weiterfahren und denke nicht daran, seinen Führerschein zu riskieren, bloß um eine Ladung beschissener Anoraks nach Carlisle zu bringen.
Dazu kamen das stetige Brausen der Autobahn und der Lärm der Besucher des
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