Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
hatte, daß die Rückseite des Gebäudes offenbar aus
Sparsamkeitsgründen nur mit einem einzigen
Bewegungsmelder gesichert war.
Ich streifte das schwarze Tuch ab, legte es lose
zusammen und drückte es Kelly in die Hand. »Du mußt es für mich halten, weil ich’s gleich wieder brauche. Das macht Spaß, nicht wahr?«
»Ja. Aber mir ist kalt.«
»Wir sind gleich drin, und da ist’s schön warm. Mach dir deswegen keine Sorgen.«
Ich blieb stehen, um zu lauschen, bevor ich an die Brandschutztür trat. Als nächstes mußte ich das
Türschloß knacken.
Die Amerikaner haben eine Vorliebe für
Sicherheitsschlösser, die sich mit drei Methoden knacken lassen. Die erste ist die einfachste: Man beschafft sich einen Zweitschlüssel. Bei der nächsten benutzt man einen Titanschlüssel in der entsprechenden Größe, den man mit Hammerschlägen ins Schloß treibt. Der Titanschlüssel verkeilt sich darin, und mit einem außen
anzuschraubenden Hebel kann man das ganze
Zylinderschloß herausreißen. Aber diese Methode kam heute nicht in Frage, weil niemand merken sollte, daß ich hier eingedrungen war. Folglich würde ich die dritte benutzen müssen.
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Ein Mehrzweckdietrich ist ein handliches kleines
Gerät in Pistolenform, das für alle handelsüblichen Schlösser geeignet ist. Sein »Abzug« ist federbelastet; durch rasche Betätigung erreicht man, daß der Dietrich im Schloß nach oben schnellt und die Zylinderstifte entriegelt. Sind sie dann in der richtigen Position, benutzt man einen kleinen Drehmomentschlüssel, um den
Schloßzylinder zu drehen. Eine betrübliche Nachricht für Besitzer von Sicherheitsschlössern: Mit einem
Mehrzweckdietrich lassen sich die meisten in weniger als einer Minute öffnen.
Ich zog mir wieder das schwarze Tuch über Kopf und Schultern, knipste die Maglite mit Rotfilter an und nahm sie zwischen die Zähne, als ich mich an die Arbeit machte. Als ich den Abzug mehrmals rasch nacheinander betätigte, konnte ich deutlich das Klicken der
Zylinderstifte hören. Dabei drehte ich den schon
angesetzten Drehmomentschlüssel nach links und drückte die Tür gegen den Rahmen, um nicht zuviel Kraft
aufwenden zu müssen. Noch ein kurzer Ruck, dann fühlte ich, wie die Stahltür nachgab.
Ich öffnete sie nur einen Spalt und rechnete fast damit, daß ein Alarmsignal losschrillen würde. Ich grinste zu Kelly hinüber, die dicht neben mir an der Wand stand und mich aufgeregt beobachtete. Ich schloß die
Brandschutztür wieder, damit kein Licht ins Freie drang.
»Drinnen darfst du nur anfassen, was ich dir sage, okay?«
Sie nickte wortlos.
Ich streifte den Overall ab, kehrte seine Innenseite nach außen und legte ihn in die Reisetasche. Als nächstes 303
zog ich die Schuhe aus, die zu dem Overall in die Tasche kamen. Dann schlüpfte ich in Sportschuhe; damit konnte ich mich nicht nur rasch und lautlos bewegen, sondern hinterließ vor allem keine verräterischen Schmutzspuren auf den Teppichböden. Danach kümmerte ich mich um Kelly: Ich half ihr aus dem Mantel, wendete ihn, bevor sie ihn wieder anzog, und ließ sie ihre Schuhe in die Reisetasche legen.
Zuletzt noch ein Blick in die Runde, um mich zu
vergewissern, daß nichts liegengeblieben war. »Wir gehen jetzt rein, Kelly. Dies ist bestimmt das erste Mal, daß ein kleines Mädchen so spioniert – das allererste Mal. Aber du mußt tun, was ich sage, okay?«
Sie nickte nachdrücklich.
Ich hängte mir die Reisetasche über die Schulter und trat links neben die Tür. »Wenn ich sie jetzt aufmache, gehst du schnell ein paar Schritte rein und läßt mir genug Platz, damit ich nachkommen kann, okay?«
»Okay.«
Ich wollte ihr nicht sagen, was sie tun sollte, falls etwas schiefging, denn sie sollte sich nicht ängstigen.
Statt dessen sollte alles so klingen, als würde diese Sache selbstverständlich klappen.
»Auf drei … eins, zwei, drei!« Ich zog die Tür etwa halb auf, und Kelly war blitzschnell hindurch. Ich folgte ihr nur wenig langsamer und zog dann die Tür hinter mir ins Schloß. Geschafft! Wir waren drinnen.
Wir folgten dem Korridor auf der Suche nach der
Treppe in den ersten Stock. Ich trug meine Reisetasche weiter über der linken Schulter. Durch zwei Glastüren am 304
Ende des Korridors konnte ich den vorderen Teil des Gebäudes sehen. Dort lag ein Großraumbüro mit allem, was man von einem Arbeitsraum dieser Art erwartete: Schreibtische, Aktenschränke, Gummibäume mit
Namensschildern. Links und rechts von uns
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