Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
habe die Zielperson nicht gesehen - folglich waren sie hinter Kelly her, nicht hinter mir. Mein Gesicht brannte vor Zorn. Das waren die Leute, die Kev ermordet hatten; sie mußten es gewesen sein. Diese Verfolgungsjagd hatte nichts mit der Fahndung nach einem flüchtigen Verdächtigen zu tun, sondern wurde von Leuten veranstaltet, die ihren Auftrag zu Ende bringen wollten. Wahrscheinlich fürchteten sie, Kelly habe sie gesehen.
Inzwischen hatte ich den Cappuccino ausgetrunken, und eine Serviererin hatte meine Tasse mitgenommen. Ich wurde hier lästig, weil andere Leute schon auf meinen Tisch warteten. Also ging ich in die Toilette zurück. In meiner Tasche steckte noch die Fernbedienung des Hotelfernsehers. Sie wanderte mit dem nutzlosen Funkgerät in den Abfallbehälter.
Was war mit Kelly? Was hatte ich zu gewinnen, wenn ich zurückging? Was war, wenn die anderen sie gefunden und umgelegt hatten und mir auflauerten, falls ich zurückkam, um sie abzuholen? Das hätte ich an ihrer Stelle getan. Mir fielen viele Gründe ein, die dafür sprachen, nicht zurückzugehen.
Bockmist.
Ich ging zum Ausgang der Einkaufspassage zurück. Ein Blick nach links ließ mich jenseits des unbebauten Geländes gerade noch das Dach von CompUSA erkennen. Der Parkplatz war so voll wie zuvor, und es regnete jetzt stärker. Ich schlug den Kragen von Kevs Jacke hoch und sah zur Schnellstraße hinüber. Mitten auf dem Parkplatz stand ein Wendy’s - wie eine Insel in einem Meer aus Autos. Es war wieder mal Kaffeezeit. Ich suchte den Weg vor mir nach meinen neuen Freunden ab und benutzte erneut große Fahrzeuge als Deckung.
Ich setzte mich mit dem Kaffeebecher und meiner Hamburgerschachtel an einen Tisch am Fenster. Von dort aus konnte ich zwar nicht die Rückfront des
Einkaufszentrums, aber die nähere der beiden Zufahrtsstraßen sehen, zu der ich unterwegs gewesen war, als ich mit Luther zusammengeprallt war. Immerhin besser als nichts. Das Wendy’s hatte eine Spielstation, die eine hervorragende Tarnung war; Kinder tobten in einer riesigen Wanne mit farbigen Tennisbällen herum, während ihre Eltern wie ich an den Tischen saßen.
Ich saß da und starrte durchs Fenster in den Regen hinaus. Ich erinnerte mich daran, wie ich als kleiner Junge manchmal unartig gewesen war, worauf mein Stiefvater mich nach einer Tracht Prügel über Nacht in den Holzschuppen gesperrt hatte. Ich wußte noch gut, wie ich Angst vor dem Regen gehabt hatte, der aufs Dach aus gewelltem durchsichtigem Kunststoffmaterial geprasselt war; ich hatte zusammengekauert in der Ecke gehockt und mir gesagt, wenn der Regen mich erreichen könne, könne das auch der Schwarze Mann.
Als Soldat und später als K war ich öfters beschossen, mißhandelt, eingesperrt worden; ich hatte jedesmal Angst gehabt - aber nie wieder so stark wie damals als kleiner Junge. Ich dachte an Kelly, die mutterseelenallein in ihrem provisorischen Versteck hockte, während der Regen auf die Pappkartons prasselte. Dann verdrängte ich sie aus meinen Gedanken. Sie würde darüber hinwegkommen. Ich durfte mich nicht von Sentimentalitäten beeinflussen lassen; ich hatte schon schlimmere Dinge getan.
Von meinem Fensterplatz aus sah ich, wie der weiße Taurus von der Rückseite des Einkaufszentrums kommend die Zufahrtsstraße entlangfuhr, an der
Einmündung hielt und sich dann in den Verkehrsfluß einordnete. Der Ford schien mit vier Mann - alle in Anzügen - besetzt zu sein, obwohl das im Regen nicht genau zu erkennen war. Die Besetzung mit vier Personen ließ darauf schließen, daß sie die Suche aufgaben; hätten sie Luther ins Krankenhaus gebracht, wären sie höchstens zu dritt gewesen: ein Mann als Fahrer und einer, der sich um den Verletzten kümmerte. Die anderen wären zurückgeblieben, um weiterzusuchen. Ich merkte, daß ich dabei war, einen Entschluß zu fassen.
Ich würde meine äußere Erscheinung verändern müssen, ohne dafür viel Geld ausgeben zu können - ich besaß ungefähr fünfhundert Dollar, die bis zum letzten Cent draufgehen würden.
Ich trank meinen Kaffee aus und trat wieder auf den Boardwalk hinaus. In einem Textilgeschäft kaufte ich einen dünnen schwarzen Nylonregenmantel, der sich handtuchgroß zusammenfalten ließ, und eine dunkelrote Baseballmütze ohne auffälligen Werbeaufdruck.
Daneben ging ich zu einer Filiale von Hour Eyes und kaufte mir eine dickrandige Hornbrille mit Gläsern aus Klarglas. Eine Brille verändert jedes Gesicht erstaunlich. Hatte ich im Dienst
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