Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
Tag finanzieren zu können.
Wir kamen wieder ins Freie, überquerten den Parkplatz und gingen in Richtung Fluß weiter. Für mich war das ein seltsames Erlebnis, denn an diesem Morgen fühlte ich mich erstmals wirklich für sie verantwortlich. Ich hatte sie immer an der Hand genommen, wenn wir Straßen überquert hatten, aber jetzt erschien es mir natürlich, auch auf dem Gehsteig ihre Hand zu halten. Ich mußte zugeben, daß es schön war, sie bei mir zu haben, aber das mochte daran liegen, daß ich wußte, daß Kelly die ideale Tarnung für mich war.
Wir gingen unter einer Stahlbetonbrücke des in die Innenstadt führenden Freeways hindurch. Der über uns hinwegrauschende Verkehr klang wie gedämpfter Donner. Ich erzählte Kelly von der Szene in dem Film Cabaret, in der Sally Bowles unter eine Eisenbahnbrücke geht, um laut zu kreischen, wenn ihr alles zuviel wird. Aber ich erzählte ihr nicht, daß ich das in den letzten achtundvierzig Stunden am liebsten dauernd getan hätte.
Hinter der Brücke veränderte sich die Stadtlandschaft. Man konnte sich gut vorstellen, wie das Gebiet vor fünfzig oder sechzig Jahren ausgesehen haben mußte, denn es war noch nicht mit Neubauten vollgepflastert. Statt dessen standen hier alte Bauten, viele mit Gleisanschluß, von denen manche als Bürogebäude genutzt wurden. Aber der größte Teil des Areals war als Bauland eingezäunt oder diente vorerst als Schrottplatz.
Ich blickte nach links und sah den auf Stelzen verlaufenden Freeway in der Ferne in Richtung Innenstadt verschwinden. Neben der Betonwand, die offenbar die Stützen tarnen sollte, zog sich eine Straße entlang. Sie hatte keinen Gehsteig, nur ein mit Getränkedosen und Zigarettenpackungen übersätes Bankett, auf dem Autos geparkt waren, deren Fahrer sich die hohen Parkgebühren in der Innenstadt sparen wollten. Obwohl die meisten Gebäude alt und verfallen waren, herrschte hier noch Leben. Auf der rechten Straßenseite hatte sich in einem ehemaligen Lagerhaus ein freies Theater etabliert. Der Gleisanschluß war noch vorhanden, aber zwischen den rostigen Schienen wucherte Unkraut. Und über allem lag das ständige Brausen des Verkehrs auf der Hochstraße.
Wir kamen an einem Schrottplatz vorbei und sahen eine ehemalige Verladestelle, an der Frachtkähne angelegt hatten, um ihre Zementladung zu löschen. Dann entdeckte ich etwas, das so wenig in diese Gegend paßte, daß es fast surreal wirkte: das Hotel Calypso, ein Bau aus den sechziger Jahren, der aus unerfindlichen Gründen noch nicht abgerissen worden war. Er stand in einem Meer aus Stahl, Glas und glasierten Ziegeln, als habe sein Besitzer standhaft alle Angebote der Bauträger abgelehnt, die in diesem Sanierungsgebiet luxuriöse Neubauten errichteten.
Das Calypso war ein sehr schlichtes dreistöckiges Gebäude in Form eines offenen Vierecks; sein als Parkplatz dienender Innenhof war mit Personenwagen und Pick-ups zugestellt. Seine fensterlosen Außenwände wiesen lediglich Öffnungen für die Klimaanlagen auf. Ich bog links ab, ging an dem rechts neben mir liegenden Hotel vorbei und bewegte mich nun parallel zur Ball Street, die dahinter verlief. Kelly sagte schon längere Zeit nichts mehr. Ich befand mich jetzt ohnehin im Arbeitsmodus, und hätte ich sie nicht an der Hand gehalten, hätte ich vielleicht vergessen, daß ich sie bei mir hatte.
Als wir das Calypso erreichten, wischte ich mir den Nieselregen aus dem Gesicht und blickte nach oben. Auf dem Flachdach des Hotels stand eine riesige Satellitenantenne von mindestens drei Metern Durchmesser, die auch aufs Dach des Pentagons gepaßt hätte. Wir bogen zweimal rechts ab und erreichten die Ball Street.
Nach den Hausnummern auf dem Stadtplan mußte das Gebäude, das ich suchte, links stehen. Um einen besseren Überblick zu haben, blieb ich auf der rechten Straßenseite.
Auch hier herrschte unglaublicher Lärm; startete nicht gerade eine Maschine auf dem nahe gelegenen Flughafen, dröhnte und rauschte der Verkehr auf dem Highway 1.
»Wohin wollen wir?« Kelly mußte schreien, um sich bei diesem Lärm verständlich zu machen.
»Nur ein kleines Stück weiter.« Ich nickte die Straße entlang. »Ich will sehen, ob ich das Büro eines Freundes finden kann. Und danach suchen wir uns ein nettes Hotel, in dem wir bleiben können.«
»Warum müssen wir dauernd von einem Hotel ins andere umziehen?«
Schwierige Frage. Um ihren Blick nicht erwidern zu müssen, gab ich vor, mich auf die Hausnummern zu
Weitere Kostenlose Bücher