Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
angelegtem
Sicherheitsgurt unbeweglich im Auto und durchbohrte mich förmlich mit Blicken für das, was ich bereits getan hatte und was ich jetzt tun würde.
Ich wusste, dass die beiden um diese Zeit da sein würden.
Sie aßen mittags immer zu Hause; in ihren fast fünfzig Ehejahren hatten sie noch kein einziges Mal auswärts gegessen. Carmen mochte es nicht, wenn andere Leute für ihren Mann kochten, und Jimmy hatte längst gelernt, ihr nicht zu widersprechen. Ich wusste auch, dass Carmen am Telefon sein würde; das schien in ihrem Haus die Regel zu sein.
»Hallo, Carmen, ich bin’s, Nick. Wie geht’s euch beiden?«
»Oh, uns geht’s gut«, sagte sie recht lebhaft. »Aber wir sind natürlich sehr müde«, fügte sie hinzu, um sich bei erster Gelegenheit als Märtyrerin hinzustellen.
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Ich hätte ihren Einwurf ignorieren und sofort zur Sache kommen sollen. »Müde?«, fragte ich, und noch während ich das sagte, fiel mir etwas ein.
»O ja, wir sind bis lange nach den News At Ten
aufgeblieben. Du hast gesagt, Kelly würde uns anrufen.«
»Tut mir Leid, Carmen, aber sie ist gestern Abend so müde gewesen, dass ich sie nicht wecken wollte.«
Das glaubte sie mir nicht, und ich konnte es ihr nicht verübeln. Und sie hatte Recht: Gestern Abend um 22 Uhr hatten Kelly und ich uns mit Double Whoppers und Fritten voll gestopft.
»Nun, ich nehme an, dass wir jetzt mit ihr reden können.
Hat sie schon zu Mittag gegessen?« In Wirklichkeit bedeutete ihre Frage: Hast du daran gedacht, dass unsere Enkelin gelegentlich essen muss? Ich dachte an Jimmy, der nun fast ein halbes Jahrhundert mit ihr verheiratet war, und ihren Sohn Kevin. Kein Wunder, dass er bei erster Gelegenheit nach Amerika gegangen war.
Ich versuchte mit einem Lachen darüber hinwegzugehen; um Kellys willen durfte ich nicht auf diese emotionale Erpressung reagieren.
»Hör zu, Carmen, ich möchte dich um einen Gefallen bitten.
Ich muss ganz plötzlich verreisen. Könntet ihr Kelly zu euch nehmen und am Montagmorgen im Internat abliefern? Ich wollte sie ein paar Tage aus der Schule nehmen, um ihr London zu zeigen, aber das hat sich jetzt leider zerschlagen.«
Ich merkte, dass Carmen die Vorstellung, Kelly würde zu ihnen kommen, aufregend fand, aber sie konnte nicht gleich klein beigeben. »Natürlich. Wann bringst du sie her?«
»Das ist eben das Problem. Ich habe nicht genug Zeit, um 82
Kelly zu euch zu bringen. Könnten wir uns in Gatwick treffen?«
Ich wusste, dass wir das konnten. Wahrscheinlich schickte sie Jimmy bereits mit einer ungeduldigen Handbewegung fort, damit er einen elf Jahre alten Rover, der wie neu aussah, aus der Garage holte. Durch die neue Tür, die er selbst eingesetzt hatte, konnte er aus dem Bungalow direkt in die Garage hinübergehen; darauf war er sehr stolz. Ich sah ihn vor mir, wie er noch einmal rasch mit einem Staubtuch über die Motorhaube wischte.
»Oh … du kannst nicht herkommen? Das würde heißen,
dass wir erst spät zurückkämen.«
Die beiden wohnten nur eine Autostunde von Gatwick
entfernt, aber Carmen ließ niemals eine Gelegenheit aus, mich zu ärgern.
»Tut mir Leid, ich kann wirklich nicht. Ich bin ziemlich in Eile, weißt du.«
»Aber wo würden wir uns treffen?« In ihrer Stimme
schwang Panik mit, als sie sich vorstellte, eine so schwierige Aufgabe lösen zu müssen; gleichzeitig klang ihre Stimme verärgert, weil ihr auf die Minute genau festgelegter Tagesplan umgestoßen werden würde. Es musste verdammt aufregend gewesen sein, als Mr. und Mrs. Browns kleiner Junge
aufzuwachsen.
Ich hatte von Anfang an gespürt, dass die beiden – oder vielmehr Carmen – mich nicht mochten. Vielleicht machten sie mich für den Tod ihres Sohnes verantwortlich; klar war jedenfalls, dass sie sich darüber ärgerten, dass ich zum Vormund ihrer Enkelin bestellt worden war, obwohl sie genau wussten, dass sie zu alt waren, um sich noch vernünftig um sie 83
kümmern zu können. Aber zum Glück würden die beiden es nicht mehr lange machen. Mir tat nur Kelly Leid, die damit auch ihre Großeltern verlieren würde; sie brauchte Menschen, die ihr Halt geben konnten, selbst wenn sie so stinklangweilig wie die Browns waren.
Als ich mich wieder ans Steuer setzte, gab Kelly vor, in eine weitere Broschüre vertieft zu sein, und begrüßte mich – ohne den Kopf zu heben – mit einem Seufzer, der einer Märtyrerin würdig gewesen wäre. Ich würde ihr demnächst den Kopf zurechtrücken müssen, bevor sie ihrer
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