Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
ihnen trotzdem Spaß zu machen. Granny und Grandad, Söhne, Töchter und Enkelkinder waren damit beschäftigt, sich voll zu stopfen.
Jenseits des Grillplatzes sah ich die Firste bunter Familienzelte. Jeder dieser Zeltplätze schien von einem eigenen kleinen Wäldchen umgeben zu sein. Ich wendete, fuhr zum Toilettenblock und parkte dort zwischen zwei anderen Autos vorwärts ein, sodass das Wagenheck in Richtung See zeigte.
Ich nahm Fernglas und Vogelbestimmungsbuch mit, die ich wie meine Landkarte im Touristenshop gekauft hatte, stieg aus und sperrte den Wagen ab. Die schwüle Wärme ließ mich sofort ins Schwitzen geraten; in einem Wagen mit Klimaanlage vergisst man allzu leicht, aus welchem Grund man sie überhaupt eingeschaltet hat.
Auf dem Grillplatz herrschte ausgelassene Stimmung. Ein Ghetto Blaster spielte karibisch angehauchten Rap, und sogar Granny tanzte im Rapperstil mit ihren Enkeln. Im Auto rechts neben mir saß ein Ehepaar im Seniorenalter; die beiden waren bestimmt stundenlang gefahren, um hierher zu kommen, hatten am See geparkt und saßen jetzt bei laufender Klimaanlage im Wagen, mampften ihre Sandwiches und hatten noch nicht einmal ihre Mützen abgenommen.
Ich schlenderte in Richtung Bootshaus und behielt dabei die Landzunge jenseits der Bucht im Auge. Das größere der beiden Häuser stand links - etwa hundert bis hundertzwanzig Meter von dem anderen entfernt. In ihrer Umgebung bewegte sich nichts.
Ich trat an den Coke-Automaten und warf vier Münzen ein. Eigentlich wollte ich gar nichts trinken - vor allem keine Büchse für einen Dollar -, aber so konnte ich mich unauffällig umsehen.
Die beiden Jugendlichen jobbten hier vermutlich in den
Ferien. Ich wusste nicht, ob sie bekifft waren oder sich nur maßlos langweilten. Beide waren barfuß, trugen aber ihre Dienstkleidung: blaue Shorts und rote Polohemden. Ich nickte ihnen über die niedrige Schwingtür hinweg zu; sie waren offenbar angehalten, zu Gästen freundlich zu sein, denn sie wünschten mir einen schönen Tag. Ich wusste nicht recht, ob er schön sein würde.
Ich setzte mich auf den hölzernen Bootssteg und spürte sofort, wie die Feuchtigkeit durch meine Jeans drang. Rechts neben mir saßen Vater und Sohn, und Dad versuchte, den Jungen fürs Angeln zu begeistern. »Du musst ganz still sitzen und den Schwimmer beobachten, sonst beißt keiner an.« Der Junge in seinem Disney-Poncho wirkte so gelangweilt wie die beiden im Bootshaus - kein Wunder, weil er lieber Eiscreme gegessen und Computerspiele gespielt hätte.
Ich trug Fernglas und Vogelbestimmungsbuch demonstrativ zur Schau; heute war ich nur ein dämlicher Tourist, der die Beine vom Bootssteg baumeln ließ und den herrlichen Blick übers Wasser genoss.
Auf dem See lagen an verschiedenen Stellen fünf oder sechs Boote vor Anker. Durchs Fernglas sah ich, dass jedes mit zwei bis drei sehr dicken Männern mittleren Alters besetzt war, die ausgerüstet waren, als wollten sie am Yukon auf Bärenjagd gehen. Ihre Jägerwesten waren mit künstlichen Fliegen gespickt, alle Taschen waren von irgendwelchen Gerätschaften ausgebeult, und an ihren Gürteln hingen Furcht erregende Messer in Lederscheiden.
Als Nächstes suchte ich die Landzunge mit dem Fernglas ab und begann damit ganz rechts außen, wo sie in den Wald überging. Ich entdeckte eine Fahrspur, die von oben kommend zwischen den Bäumen hindurchführte - das musste der Weg sein, vor dem ich angehalten hatte, um das Wohnmobil vorbeifahren zu lassen. Wahrscheinlich führte er zu den Häusern weiter. Ich verfolgte ihn und stellte fest, dass er tatsächlich an dem kleineren Haus vorbeiführte. Das Gebäude selbst lieferte keinerlei Informationen; es war nur ein quadratischer zweigeschossiger Kasten mit flachem Dach, der in den Hang hineingebaut war und vorn auf zwei Stützen ruhte. Unter dem abgestützten Teil standen ein Geländewagen und ein Boot auf einem Hänger, aber ich sah nirgends eine Bewegung. Aber dann kamen zwei Jungen, denen ein Mann folgte, ums Haus gerannt. Die drei warfen sich lachend einen Football zu. Eine glückliche Familie; für dieses Haus brauchte ich mich also nicht zu interessieren.
Ich setzte das Fernglas wieder ab und blätterte in meinem Vogelbuch. Das war unerlässlich, weil man nie weiß, wer einen gerade beobachtet; Dritte würden sich vielleicht nicht gleich fragen: »Kundschaftet der Kerl etwa die Häuser dort drüben aus?« - aber wenn ich nichts anderes tat, als sie durchs Fernglas zu inspizieren,
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