Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
konnte das sehr merkwürdig wirken. Der Trick dabei ist, den Eindruck zu erwecken, etwas so Selbstverständliches zu tun, dass niemand auf die Idee kommt, einen eines zweiten Blickes zu würdigen. Ich konnte nur hoffen, dass sich kein weiterer Vogelbeobachter zu mir gesellte und versuchte, mit mir zu fachsimpeln.
Nachdem ich alles über den Weißrückenspecht nachgelesen hatte, legte ich das Buch wieder weg und befasste mich mit dem zweiten Ziel. Unterdessen hatte ich in der schwülen Hitze so zu schwitzen begonnen, dass mir große Schweißtropfen übers Gesicht liefen und ich mich am ganzen Körper feucht und klebrig fühlte.
Das zweite Haus sah ganz ähnlich wie das erste aus, war allerdings rund ein Drittel größer und hatte drei Geschosse. Es war ebenfalls ein Holzhaus und hatte ein mit Dachpappe gedecktes Flachdach, aber der Raum unter den Stützen war mit Sperrholzplatten zu einer Garage mit einem zweiflügligen Tor ausgebaut. Von diesem Tor aus führte eine betonierte Schräge für einen Slipwagen zum See hinunter. Ein Fischerboot, ein viersitziges GFK-Boot mit Außenbordmotor, stand mit dem Bug zum Wasser vor der Garage.
Sämtliche Vorhänge des Hauses schienen zugezogen zu sein. Ich konnte kein Anzeichen - keine Müllsäcke vor dem Haus, keine Handtücher auf der Leine - dafür sehen, dass es gegenwärtig bewohnt war. Das Garagentor war jedoch nur zu drei Vierteln geschlossen und ließ das Heck eines schwarzen Geländewagens sehen, was mich vermuten ließ, dort drinnen stehe noch ein zweiter Wagen.
Hinter mir hörte ich die beiden Jugendlichen in Polohemden vernehmlich ächzen. Ein Mann kam mit drei Jungen auf das Fort zu; alle drei waren ganz aufgeregt, weil ihr Vater ein Kanu mieten wollte, und stritten sich bereits darum, wer das Paddel kriegen würde.
Die Fete am Grillplatz war jetzt richtig in Schwung gekommen. Die Kinder tanzten, und die Erwachsenen standen
- trotz des hier geltenden Alkoholverbots - mit Bierdosen in der Hand um den Grill und sahen einem selbst ernannten Chefkoch zu. Sogar aus einiger Entfernung war das laute Brutzeln zu hören, als Steaks von der Größe von Mülltonnendeckeln auf den vorgeheizten Grill gelegt wurden.
Das alte Ehepaar saß wie zuvor in seinem Wagen. Sie versuchte, eine Dose Dr. Pepper zu trinken, was ihr nicht recht gelang, und er las den Innenteil einer Zeitung. Ein schöner Tag in Gottes freier Natur.
Ich konnte die Schlagzeile selbst durch die Windschutzscheibe hindurch lesen. Offenbar hatte ich richtig vermutet: Der schwarze Konvoi, der mich in Washington aufgehalten hatte, musste Arafat oder Netanjahu befördert haben, denn beide wurden in Amerika willkommen geheißen.
Ich setzte mich wieder ins Auto, fuhr langsam die Schotterstraße entlang zur Hauptstraße zurück und bog nach links in Richtung The Falls of Neuse und Autobahnring ab. Die Wegweiser nach Raleigh ignorierte ich jedoch. Diesmal brauchte ich die Straße nach Fayetteville.
»Fayettenam«, wie die Eingeweihten die Stadt wegen ihrer hohen Verluste analog zu Vietnam nennen, ist Standort der 82 nd Airborne und der US Special Forces. Tatsächlich stationiert sind sie in Fort Bragg, ungefähr eine Autostunde südlich von Raleigh - dem einzigen Ort, den ich in North Carolina kannte. Erstmals war ich Mitte der Achtzigerjahre zu einer gemeinsamen Übung mit der Delta Force, dem amerikanischen Gegenstück zum SAS-Regiment, in Fort Bragg gewesen.
Zweck der Übung »Deltex« war die Verbesserung der Zusammenarbeit beider Einheiten gewesen, aber in mir hatte sie nur starke Neidgefühle geweckt. Ich wusste noch gut, wie erstaunt ich über die Größe des Standorts gewesen war: In dieser Einrichtung, die hier zu Lande »Fort« hieß, hätte die gesamte Stadt Hereford zweimal Platz gehabt. Menge und Qualität der Ausbildungsstätten waren geradezu unglaublich. Hier gab es überdachte Schießbahnen für 5,56- und 7,62-mm- Gewehre; in Stirling Lines hatten wir nur einen Schießstand für 9-mm-Pistolen. Und während wir nur eine Turnhalle hatten, gab es hier Dutzende - und dazu Saunen, Whirlpools und eine riesige Kletterwand für ihren Mountain Troop. Die hier stationierten Einheiten hatten mehr Hubschrauber als die gesamte britische Armee; betrachtete man Fort Bragg genauer, zeigte sich, dass die Personalstärke der hiesigen Garnison die Gesamtstärke der britischen Streitkräfte übertraf.
Fayetteville ist eine typische Garnionsstadt, in der alle Geschäfte auf die Bedürfnisse des Militärs ausgerichtet
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