Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
weißt du, der heute Morgen angerufen hat.«
Sie warf ihren Mantel auf die Sofalehne und musterte mich flüchtig. »Hallo«, sagte ich lächelnd. »Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
»Hallo«, grunzte sie. »Sie haben ihn also gefunden?« Sie verschwand in der Küche, ohne meine Antwort abzuwarten.
Janice war Mitte zwanzig, nicht unattraktiv, nicht attraktiv, irgendwie durchschnittlich. Sie trug ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der etwas länger als der von Tom war. Ihr Haar war nicht ausgesprochen fettig, aber es sah auch nicht so aus, als hätte sie es erst gestern gewaschen. Außerdem trug sie etwas zu viel Make-up, das unter ihrem Kinn übergangslos aufhörte.
Ich setzte mich wieder, aber Tom blieb vor dem Gaskamin stehen und schien nicht recht zu wissen, wie er sich zu Janices unfreundlichem Benehmen äußern sollte. In der Küche knallten Schranktüren, als wolle sie ihre Anwesenheit auch akustisch demonstrieren.
Janice kam mit einem Frucht- und Nussriegel und einer Coladose ins Wohnzimmer zurück. Sie wischte ihren Mantel von der Sofalehne, ließ sich neben mich aufs Sofa fallen, riss die Verpackung des Riegels und die Getränkedose auf und machte sich über beides her. Auf das Tempo, mit dem sie die Cola in sich hineingluckern ließ, wäre ein durstiger Maurer stolz gewesen. Zwischen zwei Schlucken deutete sie auf den Kaminsims. »Tom, gib mir die Karten.«
Er tat wie geheißen. Wir sahen beide zu, wie sie einen Lippenstift aus der Manteltasche holte und ihn dick auflegte. Während sie zwischendurch gluckerte und mampfte, machte sie sich daran, die noch weißen Karten zu küssen.
Sie sah auf, starrte mich kurz an und wandte sich erneut an Tom. »Gib den Rest auch noch her.«
Er griff nach dem A 4-Umschlag, der auf dem
Fernseher lag, und gab ihn ihr mit vor Verlegenheit hochrotem Gesicht.
Janice kippte die weißen Karten vor sich auf den Fußboden, legte nochmals Lippenstift auf und küsste weiter. Unterschrieben wurden die Karten offenbar erst später, wenn sie sich etwas abreagiert hatte.
So konnten Tom und ich nicht mehr miteinander reden. Ich musste zusehen, dass ich verschwand.
»Danke für den Tee, Tom. Ich muss jetzt weiter, fürchte ich. Freut mich, Sie kennen gelernt zu haben, Janice.«
Sie nickte, ohne sich die Mühe zu machen, zu mir aufzusehen.
Tom starrte nervös erst mich, dann Janices Kopf an. Als ich aufstand und mich nach meiner Reisetasche bückte, stieß er hervor: »Hey, ich bringe dich runter, ich muss sowieso die Wäsche abholen.«
Wir sprachen nicht miteinander, als wir die Treppe hinuntergingen. Ich wusste, was ich hätte sagen wollen, aber was hätte das genutzt? Jemandem zu erklären, dass seine Freundin ein widerwärtiges Weibsbild ist, motiviert ihn nicht gerade dazu, mit einem zu verreisen.
Auf dem Rückweg zur All Saints Road stammelte er: »Janice ist nicht Juicy Lucy, weißt du. Sie kriegt für zweihundert Stück einen Zehner. Diese Woche ist sie Lucy, nächste Woche wieder Gina, glaub ich. Manchmal helfe ich ihr dabei.« Er rieb sich das Kinn. »Aber dann muss ich mich erst rasieren, sonst hinterlassen die Bartstoppeln Spuren im Lippenstift. Wir haben einen ganzen Haufen getragener Slips im Schlafzimmer. Ein
Kerl bringt sie jeweils donnerstags vorbei.«
Ich musste lachen, als ich mir vorstellte, wie er vor dem Gaskamin saß, Karten küsste und getragene Slips für Liebhaber dieser Spezialität einpackte.
Tom spielte wieder mit ruckartigen Kopfbewegungen den Gockel. »Yeah, wie ich schon gesagt habe, ist das nur vorläufig, bis das Geld reinkommt. Alle sind echt scharf auf mein Zeug - Activision, die Leute von Tomb Raider, all die großen Firmen -, ich bin kurz davor, ans ganz große Geld ranzukommen, verstehst du?«
»Klar doch, Tom.« Ich wusste genau, was er meinte.
Als wir um die Ecke in die All Saints Road abgebogen waren, wo Janice und nicht mehr sehen konnte, falls sie oben am Fenster stand, unternahm ich einen letzten Versuch. Ich blieb vor einem Schaufenster mit Wasserhähnen, Kunststoffrohren und ähnlichem Klempnerscheiß stehen und wandte mich an ihn.
»Tom, ich möchte, dass du ernstlich über meinen Vorschlag nachdenkst. Ich habe nicht vor, irgendwelche krummen Dinger zu drehen. Für solches Zeug bin ich langsam zu alt. Ich will nur Geld verdienen - genau wie du. Ich würde dich gern mitnehmen, aber ich muss bis heute Abend wissen, ob du mitmachen willst.«
Er ließ die Schultern hängen und starrte den Gehsteig an. »Yeah.
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