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Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren

Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren

Titel: Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy NcNab
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Verhaltensspektrum
    gesprochen habe, das von völliger Teilnahmslosigkeit bis zu manischer Aktivität reichen kann?«
    »Sie haben mir erklärt, dass beide Extreme gleich schlimm seien, weil der oder die Betroffene nicht ansprechbar sei. Der erstrebenswerte Bereich liege irgendwo in der Mitte.«
    Dr. Hughes lächelte kurz, als sei sie erfreut und vielleicht auch überrascht darüber, dass ich damals tatsächlich aufmerksam zugehört hatte. »Wie Sie sich erinnern werden, wollten wir versuchen, Kelly
    wenigstens teilweise aus ihrer Erstarrung zu holen. Wir haben gehofft, wir würden sie in den Mittelbereich des Spektrums zurückholen können, damit sie mit Menschen umgehen und Beziehungen aufbauen, sich anpassen und weiterentwickeln kann.« Sie griff nach einem
    Kugelschreiber und kritzelte etwas für sich selbst auf einen Zettel. »Leider muss ich sagen, dass Kelly
    weiterhin sehr passiv und geistesabwesend ist, sie steckt in einer Art Kokon und ist unfähig oder nicht bereit, sich mitzuteilen.«
    Sie starrte mich wieder über ihre Lesebrille hinweg an, als wolle sie die Bedeutung des Gesagten unterstreichen.
    »Kleine Kinder leiden unter Gewalt, deren Augenzeugen sie werden, Mr. Stone, vor allem in Fällen, in denen Angehörige ihr Opfer werden. Kellys Großmutter hat mir geschildert, wie fröhlich und lebhaft sie früher war.«
    »Früher hat es Spaß gemacht, mit ihr zusammen zu
    110
    sein«, bestätigte ich. »Jetzt lacht sie gar nicht mehr über meine Witze.« Ich machte eine Pause. »Vielleicht sind sie nicht mehr so gut wie früher.«
    Meine Bemerkung schien die Ärztin leicht enttäuscht zu haben. »Ich fürchte, dass ihr jetziges Verhalten sich so sehr von ihrem früheren unterscheidet, dass der Weg zur Genesung länger sein dürfte, als ich ursprünglich dachte.«
    Länger und teurer. Ich schämte mich für diesen
    Gedanken, aber er drängte sich mir einfach auf.
    »Von welchem Zeitraum sprechen wir ungefähr?«
    Sie schob ihre Unterlippe vor und schüttelte langsam den Kopf. »Das lässt sich noch immer nicht sagen, Mr.
    Stone. Was wir hier zu heilen versuchen, ist weit komplizierter als ein einfacher Knochenbruch. Ich verstehe, dass Sie gern einen Zeitplan hätten, aber ich kann Ihnen keinen Termin nennen. Der Verlauf dieser Störung ist ganz unterschiedlich. Bei zweckmäßiger Behandlung erholen sich die meisten Patienten innerhalb eines Vierteljahrs von diesem Syndrom. Manche haben nie wieder Schwierigkeiten damit. Viele brauchen länger, manchmal ein Jahr oder noch länger. Andere leiden trotz aller Behandlung noch längere Zeit unter leichten bis mittleren Beschwerden. Ich fürchte, Sie werden sich wirklich auf einen langwierigen Heilprozess einstellen müssen.«
    »Kann ich Kelly irgendwie helfen?«
    Dr. Hughes lächelte zum zweiten Mal. Ihr Lächeln
    wirkte nicht herzlich, sondern leicht triumphierend, so dass ich den Verdacht hatte, in irgendeine Fall getappt zu 111
    sein.
    »Nun«, sagte sie, »ich habe Sie heute aus einem
    bestimmten Grund hergebeten. Kelly ist hier – in einem der Zimmer.« Ich begann aufzustehen. »Kann ich sie sehen?«
    Sie stand ebenfalls auf. »Gewiss. Das ist der Zweck der Übung. Aber ich muss Ihnen sagen, Mr. Stone, dass ich nicht möchte, dass sie Sie sieht.«
    »Wie bitte? Ich …«
    Die Ärztin schnitt mir das Wort ab. »Ich will Ihnen vorher noch etwas zeigen.« Sie zog eine
    Schreibtischschublade auf, nahm mehrere Blatt Papier heraus und schob sie über den Schreibtisch. Ich war nicht auf den Schock vorbereitet, den sie mir versetzten. Die Bilder, die Kelly von ihren ermordeten Angehörigen gezeichnet hatte, unterschieden sich gewaltig von dem Foto einer glücklichen Familie in meinem Rucksack.
    Auf der ersten Zeichnung kniete Kellys Mutter vor einem Bett mit blutrot verfärbter Decke, auf der ihr Oberkörper mit ausgebreiteten Armen lag.
    Auf der nächsten lag ihre fünfjährige Schwester Aida mit fast vom Hals abgetrennten Kopf im Bad zwischen Wanne und WC auf dem Boden. Das hübsche blaue
    Kleid, das sie an jenem Tag getragen hatte, war chaotisch mit rotem Filzstift bemalt.
    Kevin, ihr Vater und mein bester Freund, lag im
    Wohnzimmer auf dem Teppich neben dem
    Baseballschläger, mit dem jemand ihm den Schädel
    eingeschlagen hatte.
    Ich sah zu der Ärztin auf. »So habe ich sie damals 112
    vorgefunden – in genau diesen Stellungen. Ich habe nie geahnt, dass sie …«
    Ich hatte sie in ihrem Versteck gefunden, das Kevin für die Kinder für den Fall, dass es ein

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