Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
ich konnte mich kaum noch daran erinnern, wann ich Kelly zuletzt lächeln oder gar lachen gesehen hatte.
»Die Symptome sind von Fall zu Fall verschieden«, sagte Dr. Hughes, »aber sie können jahrelang anhalten, wenn sie nicht behandelt werden. Jedenfalls
verschwinden sie nicht einfach von selbst.«
Mir wurde fast schlecht, wenn ich daran dachte, dass Kelly sich vielleicht schon auf dem Weg der Besserung befinden könnte, wenn ich nur früher gehandelt hätte. So mussten sich echte Väter fühlen, und für mich war es vermutlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich solche Gefühle empfand.
Die Straße durch den Park endete, und ich kam wieder auf eine der Hauptverkehrsstraßen. Dort stand der Verkehr praktisch. Lieferwagen hielten genau vor den Geschäften, die sie zu beliefern hatten, und schalteten ihre Warnblinkanlage ein. Motorradkuriere nutzten jede Lücke zwischen den Autos aus und riskierten dabei mehr, als ich mir zugetraut hätte. Ich schlängelte mich langsam durch den stockenden Verkehr und kam allmählich in Richtung Chelsea voran.
Auf den Gehsteigen herrschte ebenso dichter Verkehr.
Leute mit Tragetaschen kollidierten miteinander und verursachten Staus vor den Eingängen von Geschäften.
Und als ob das alles nicht schlimm genug gewesen wäre, hatte ich keinen blassen Schimmer, was ich Kelly zu 107
Weihnachten schenken sollte. Ich kam an einem
Telefonladen vorbei und überlegte, ob ich ihr ein Handy schenken sollte – aber wozu, wenn ich nicht mal von Angesicht zu Angesicht mit ihr reden konnte? Ein
Jeansladen brachte mich auf die Idee, ihr ein paar neue Klamotten zu schenken, aber dann würde sie vielleicht glauben, ich traute ihr nicht zu, sich ihre Sachen selbst auszusuchen. Zuletzt gab ich auf. Sie konnte einfach haben, was sie sich wünschte. Aber natürlich nur, wenn die Klinik mir so viel Geld ließ, dass ich es bezahlen konnte.
Dann erreichte ich endlich mein Ziel und stellte die Ducati ab. »Tue Moorings« war ein großes Stadthaus an einem mit Bäumen bestandenen Platz, ein frisch
verfugter Klinkerbau mit viel Lackglanz und frischer Farbe. Alles an diesem Gebäude verkündete, dass es auf die Behandlung der Krankheiten von Reichen
spezialisiert war.
Die Empfangsdame schickte mich ins Wartezimmer,
das ich unterdessen sehr gut kannte, und ich blätterte dort in einem Magazin mit wundervollen Landhäusern von der Art, wie meines nie sein würde. Ich las gerade einen Artikel über die Vor- und Nachteile einer herkömmlichen Zentralheizung mit Heizkörpern im Vergleich zu einer Fußbodenheizung und überlegte mir, wie schön es sein musste, überhaupt eine zu haben, die funktionierte, als die Empfangsdame aufkreuzte und mich ins
Sprechzimmer bat.
Dr. Hughes war imponierend wie immer. Sie war
Mitte bis Ende fünfzig und sah so aus, als könnten sie 108
und ihr Sprechzimmer jederzeit in einem Feature des Magazins OK! erscheinen. Mit ihrer grauen Mähne hätte sie eher eine amerikanische Fernsehmoderatorin als eine Seelendoktorin sein können. Mein Haupteindruck von ihr war, dass sie die meiste Zeit unglaublich mit sich selbst zufrieden war – vor allem wenn sie mich über ihre Lesebrille mit Goldrand hinweg ansah und mir erklärte, es tue ihr Leid, Mr. Stone, aber in solchen Fällen sei eine zeitliche Prognose in Bezug auf den Heilungsverlauf nicht möglich.
Ich lehnte den angebotenen Kaffee dankend ab. Bis er nämlich kam, wurde viel unnütze Konversation gemacht, und in diesem Laden war Zeit wirklich Geld.
Ich nahm in dem Sessel vor ihrem Schreibtisch Platz und stellte den Rucksack neben meine Füße. »Ihr
Zustand hat sich nicht etwa verschlechtert, oder?«
Die Ärztin schüttelte ihren Kopf mit der grauen
Mähne, antwortete aber nicht gleich.
»Wenn’s um Geld geht …«
Sie hob eine Hand und warf mir einen gönnerhaft
geduldigen Blick zu. »Dafür bin ich nicht zuständig, Mr.
Stone. Ich bin sicher, dass die Leute im Erdgeschoss alles unter Kontrolle haben.«
Das hatten sie allerdings. Und mein Problem war, dass Supermodels und Starfußballer sich vielleicht vier Riesen pro Woche leisten konnten, ich aber demnächst pleite sein würde.
Die Ärztin sah mich über ihre Lesebrille hinweg an.
»Ich wollte mit Ihnen reden, Mr. Stone, mit Ihnen über Kellys Prognose sprechen. Sie ist noch immer sehr 109
verschlossen, und wir machen nicht die geringsten Fortschritte in Bezug auf ihre Heilung. Sie erinnern sich, dass ich neulich von einem
Weitere Kostenlose Bücher