Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
sichtbare Schmuckstück war eine klassisch schlichte goldene Cartier-Armbanduhr mit schwarzem Lederband. Andererseits brauchte sie Schmuck zur
Verschönerung so notwendig, wie die Venus von Milo ein Brillantcollier brauchte. Ich begann einzusehen, weshalb Val Finnland Russland vorzuziehen schien.
Ich dachte nicht daran, den Umschlag sofort
aufzureißen. Ich wollte nicht verzweifelt oder
misstrauisch wirken. Ich war beides, aber ich wollte 138
nicht, dass sie das merkte.
Bisher hatte ich nie Zeit gehabt, sie mir genau
anzusehen. Erstmals wahrgenommen hatte ich sie am Tag von Vals Ankunft in Finnland – drei Tage vor der
Entführung. Aber die Erkundungsphase dient der
Planung, nicht der Bewunderung von
Sehenswürdigkeiten. Das holte ich jetzt nach. Ich hatte noch nie eine Frau mit so perfekt symmetrischen
Gesichtszügen gesehen – ausgeprägtes Kinn, volle
Lippen und leuchtend blaue Augen, die alles zu wissen schienen, aber nichts preisgaben. Ihr klassisch
proportionierter Körper sah aus, als werde er nicht durch Hüpfen zu Musik im Fitness-Studio, sondern durch
Reiten oder Klettern in Form gehalten.
Die Umrisse der Geldscheinbündel, die ich in dem
Luftpolsterumschlag ertasten konnte, holten mich in die Wirklichkeit zurück. Ich legte meinen Helm vor mich auf den Boden, öffnete den Reißverschluss meiner
Lederjacke und schob den Umschlag hinein.
Sie wandte sich ab und setzte sich auf einen der Stühle neben ihren Einkäufen. Ich blieb in Fensternähe an die Wand gelehnt stehen. Liv bot mir mit einer
Handbewegung einen Stuhl an, aber ich schüttelte
dankend den Kopf. Ich blieb lieber stehen, um schneller reagieren zu können, falls sie ein paar ihrer stiernackigen Freunde in der Wohnung hatte und dieses Gespräch sich als nicht hundertprozentig freundschaftlich erwies.
Ich fing an, Val heftig zu beneiden. Geld und Macht ziehen immer schöne Frauen an. Mein Treteimer voller unbezahlter Rechnungen wirkte nie als Magnet.
139
Liv saß da und betrachtete mich mit dem
Gesichtausdruck, den Mr. Spock auf der Brücke des Raumschiffs Enterprise aufgesetzt hatte, wenn ihm etwas unlogisch erschienen war. Mit diesem durchdringenden, forschenden Blick hatte sie mich schon im Hotel
gemustert, als ob sie meine Gedanken lesen wollte, ohne selbst etwas von sich preiszugeben. Das war mir
unbehaglich, deshalb bückte ich mich, um meinen Helm aufzuheben und zu gehen.
Sie lehnte sich zurück und schlug ihre langen Beine übereinander.
»Nick, ich habe einen Vorschlag für Sie – von
Valentin.«
Ich ließ den Helm liegen, äußerte mich aber nicht dazu. Ich hatte mühsam genug gelernt, dass es sich lohnt, daran zu denken, dass wir zwei Ohren, aber nur einen Mund haben.
Ihr Blick blieb kühl. »Interessiert?«
Natürlich war ich das. »Im Prinzip ja.« Ich hatte keine Lust, den ganzen Nachmittag wie die Katze um den
heißen Brei zu schleichen, und Liv sah ohnehin nicht wie jemand aus, der das tut. Also konnten wir gleich zur Sache kommen. »Was will er von mir?«
»Der Auftrag ist einfach, aber er muss geschickt
ausgeführt werden. Valentin braucht jemanden – und dafür will er Sie –, der einem zweiten Mann hilft, in ein Haus in Finnland einzudringen. Dieser andere Mann ist ein Kryptograf – ein hoch spezialisierter Hacker, wenn Sie so wollen. In dem Haus stehen Computer, zu deren Dateien der Kryptograf sich Zugang verschafft, um sie 140
auf einen Laptop herunterzuladen und mitzunehmen. Und bevor Sie fragen: Bei den gespeicherten Daten handelt es sich nur um Informationen der Konkurrenz, die Valentin gern in seinem Besitz hätte.«
Sie stellte ihre Beine wieder nebeneinander und
öffnete eine ihrer Tragetaschen.
»Sie meinen Industriespionage?«
»Das stimmt nicht ganz, Nick. Mehr kommerziell als industriell. Valentin möchte, dass Sie bei der
Beschaffung dieser Informationen helfen, ohne dass die Besitzer ahnen, dass jemand in ihr Haus eingedrungen ist.
Wir wollen, dass sie glauben, nur sie besäßen diese Informationen.«
»Ist die Sache wirklich so simpel?«
»Es gibt ein paar kleinere Komplikationen, über die wir reden werden, falls Sie interessiert sind.«
Das war ich, aber kleinere Komplikationen gab es nie.
Sie erwiesen sich immer als größere. »Wie viel?«
Ich musste auf ihre Antwort warten, während Liv mit Seidenpapier raschelnd eine cremefarbene
Kaschmirstrickweste aus einer Harvey-Nichois-Tasche zog. Dann lehnte sie sich wieder zurück, legte die Strickweste auf ihre
Weitere Kostenlose Bücher