Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
mit ihr zu verhandeln als mit irgendeinem
Quadratschädel.
Vals Begleiterin aus Helsinki, die diesmal fast
unschuldig wirkte, zeigte mir nur ein leuchtend blaues Auge und eine mittelblonde Haarsträhne. Wahrscheinlich war ihr Haar im Sommer heller, wenn die Sonne es
bleichte. Sonst war durch den Türspalt nur ihr
dunkelblauer Rollkragenpullover zu sehen.
Sie betrachtete mich ausdruckslos, wartete darauf, dass ich etwas sagte.
»Ich heiße Nick. Sie haben etwas für mich.«
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»Ja, ich habe Sie schon erwartet.« Sie zuckte mit keiner Wimper. »Haben Sie ein Handy oder einen
Piepser bei sich?«
Ich nickte. »Yeah, ich habe ein Telefon.« Zum Teufel mit Valentins Anweisungen. Ich brauchte eines, damit Dr. Hughes mich später anrufen konnte.
»Schalten Sie es bitte aus?«
»Es ist ausgeschaltet.« Es ist zwecklos, die
Akkuladung zu vergeuden, während man auf einem
Motorrad sitzt.
Ich kippte den Sturzhelm leicht, damit die Pistole nicht herausfiel, griff in die rechte Tasche, zog mein Handy heraus und zeigte ihr das Display.
»Danke sehr«, sagte sie höflich, dann wurde die
Wohnungstür wieder geschlossen, und ich hörte, wie die Sicherungskette ausgehakt wurde. Als die Tür aufging, stand die Blondine wider Erwarten nicht da, um mich hereinzubitten, sondern hatte sich abgewandt und ging in die Wohnung zurück. »Machen Sie bitte die Tür hinter sich zu, Nick?«
Als ich über die Schwelle trat, roch ich Bohnerwachs.
Ich folgte ihr den Korridor entlang und registrierte dabei den Grundriss der Wohnung. Auf beiden Seiten lagen mehrere Räume, deren Türen geschlossen waren; nur die Tür am Ende des Flurs stand offen. Der helle
Holzfußboden war frisch gebohnert, die Wände und
Türen glänzten makellos weiß. Hier im Flur gab es weder Möbel noch Bilder, nicht mal einen Kleiderhaken.
Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf Vals
Gespielin. In Helsinki hatte ich geglaubt, ihre hohen 136
Absätze ließen sie so groß erscheinen, aber jetzt sah ich, dass das von ihren langen Beinen kam. Ich schätzte sie auf gut 1,80 Meter, als sie in ihren vorn quadratisch abgeschnittenen Cowboystiefeln, deren Absätze langsam und rhythmisch über den Fußboden klackten, vor mir her schritt. Sie bewegte sich wie ein Supermodel auf dem Laufsteg. Ihre Beine steckten in Armani-Jeans, deren Firmenzeichen auf der rechten Gesäßtasche sich im Rhythmus ihrer Schritte auf und ab bewegte. Ich
beobachtete es fasziniert.
Während ich meine Pistole in die rechte Tasche steckte und das Handy in der linken verstaute, beobachtete ich weiter die Blondine und überlegte mir, dass Armani sie eigentlich dafür bezahlen müsste. Ich war fast versucht, mir Jeans dieser Marke zu kaufen.
Eine der rechten Türen stand halb offen, und ich warf einen Blick in den Raum dahinten. Die Küche war
ebenso steril wie der Flur: weiß lackierte Hocker an der Frühstückstheke, kein Wasserkessel, keine Pinnwand mit Einkaufszetteln. Hier lebte niemand.
Ich betrat das Wohnzimmer, in dem sie jetzt stand: ein großer weißer Raum, in dessen Mitte drei nicht
zusammenpassende Stühle standen. Zugezogene
Musselinvorhänge ließen das einfallende Tageslicht trüb und verschwommen wirken.
Die einzigen weiteren Gegenstände in diesem Raum
waren vier riesige Tragetaschen von Harvey Nichols, die zum Platzen voll gepackt zu sein schienen, und eine schwarze Tragetasche von Waterstone’s mit Büchern, deren kantige Umrisse sich deutlich abzeichneten.
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Ich durchquerte den Raum und blieb in der Nähe der Fenster stehen. Durch die Isolierverglasung drang der Verkehrslärm nur schwach herein.
Sie beugte sich über eine der Tragetaschen und zog einen großen, prall gefüllten beigen A4-Umschlag
heraus.
»Mein Name ist Liv. Ich soll Ihnen Grüße von
Valentin bestellen«, sagte sie, als sie mir den Umschlag gab. »Und Ihnen dieses Zeichen seiner Dankbarkeit überbringen. Das ist für Sie. Hunderttausend US-Dollar.«
Wunderbar. Damit konnte ich meine Schulden in der Klinik bezahlen und hatte das Geld für weitere vier Monate Behandlung auf der Bank.
Liv streckte eine perfekt gepflegte Hand aus, die erkennen ließ, dass sie kein Teenager mehr war. Ihr Teint war makellos, und sie brauchte kein Make-up. Ich
schätzte sie auf Anfang dreißig. Sie trug ihr
schulterlanges Haar links gescheitelt und hinters Ohr gesteckt.
Falls sie heute Nagellack trug, war er farblos. Sie trug keine Ringe, keine Armreifen, Ohrringe oder Halsketten.
Das einzig
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