Nick Stone - 04 - Eingekreist
Rundfunk hat sie zu den Waffen
gerufen und die Bevölkerung aufgefordert, auf die
Straßen zu gehen und ihr Land gegen die Invasoren zu verteidigen. Das war natürlich Schwachsinn – fast alle wollten, dass das passiert, wissen Sie, dass Noriega entmachtet wird.«
»Wir haben das Radio eingeschaltet gelassen und im
Fernsehen die SOUTHCOM-Station eingestellt. Ich
konnte es nicht glauben – der Sender hatte nicht mal den laufenden Film unterbrochen! Aaron ist total
ausgeflippt. Draußen waren noch immer
Bombendetonationen zu hören.«
Ich hörte aufmerksam zu und trank zwischendurch
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ein paar Schlucke Wasser.
»Wenig später erschien auf allen panamaischen
Fernsehkanälen das Wappen des US-Verteidigungs-
ministeriums, und eine spanisch sprechende Stimme
forderte die Bevölkerung auf, zu Hause zu bleiben und weitere Durchsagen abzuwarten. Und genau das haben
wir getan. Allerdings haben wir außer ›Alles in
Ordnung, nur die Ruhe bewahren‹ nicht viel erfahren.
Nach einiger Zeit sind wir wieder hinausgegangen und haben weitere Detonationen beobachtet, die jetzt aus allen Stadtteilen kamen. Überall am Nachthimmel waren Jagdbomber unterwegs – oft so niedrig, dass wir ihre Nachbrenner sehen konnten.
Das ging bis gegen vier Uhr morgens weiter, und
danach waren nur noch die Hubschrauber und
Jagdbomber zu hören. Wir wussten wirklich nicht, was wir tun oder denken sollten – und ich hatte Angst um Lulu und Luz.
Bei Tagesanbruch war der Himmel schwarz von
Hubschraubern und dem aus der Stadt aufsteigenden
Rauch. Und dazwischen ist ein riesiges Flugzeug
herumgeflogen. Es hat ständig über der Stadt gekreist und war dann noch wochenlang da.«
Ihrer Beschreibung nach war das vermutlich eine
Lockheed AC-130 Gunship gewesen: Dieses
Nachtschlachtflugzeug konnte Tag und Nacht
operieren, weil seine Ausrüstung die Nacht zum Tage machte. Es würde dort gekreist haben, um die
Bodentruppen notfalls als fliegende Artillerie
unterstützen zu können. Zu seiner Ausrüstung gehörten 340
Infrarot- und Wärmebildkameras, die einen laufenden Mann oder ein zündholzschachtelgroßes Stück
Leuchtfolie aus Tausenden von Fuß Höhe orten
konnten. Es war mit Bordcomputern ausgerüstet, mit
deren Hilfe die von einer Titanzelle geschützten
Operatoren entschieden, gegen welche Ziele sie ihre beiden MGs oder ihre 20- und 40-mm-Maschinenkanonen einsetzen wollten – oder in wirklich kritischen Situationen die 105-mm-Haubitze, deren
Rohr seitlich aus dem Flugzeugrumpf ragte.
Carrie sprach weiter. Sie erzählte, wie die Digbats auf der Flucht vor den Amerikanern geplündert,
vergewaltigt und entlang ihrer Rückzugsroute alles
zerstört hatten. Aaron und sie waren erst am 26.
Dezember in ihr Haus in der Nähe der Universität
zurückgekehrt. »Es war unbeschädigt …« Wieder ein
flüchtiges Lächeln. »Es war nicht einmal ausgeplündert, obwohl manche der Einheimischen die sich bietenden
Gelegenheiten eifrig genutzt hatten. Irgendjemand hatte aus einem Laden einen Haufen Stetsons geklaut –
plötzlich gab es in unserem Viertel mindestens dreißig Kerle, die sich für John Wayne hielten.«
Ich lächelte über diese Vorstellung, aber ihre Miene war schon wieder ernst.
»Panama City war auf einmal eine besetzte Stadt, in der es von Soldaten, Kontrollstellen und so weiter
wimmelte. Wir waren so in Sorge um Lulu und Luz,
dass wir nach El Chorrillo gefahren sind, um nach ihnen zu sehen. Dort hat’s ausgesehen wie auf Fernsehbildern aus Bosnien: ausgebombte Häuser und überall auf den 341
Straßen Soldaten in Panzerfahrzeugen mit
Lautsprechern.« Sie imitierte ihre Durchsagen.
»›Fröhliche Weihnachten, wir sind Soldaten aus den
Vereinigten Staaten von Amerika. Wir werden sehr bald Ihre Häuser durchsuchen, bitte lassen Sie die Türen offen, und halten Sie sich im vorderen Teil Ihres Hauses auf. Seien Sie unbesorgt, Ihnen geschieht nichts.
Fröhliche Weihnachten.‹ Das war so surreal – wie in einem schlechten Film.«
Ihr Gesicht war plötzlich blass und ausdruckslos.
»Als wir zu Lulus Apartmenthaus gekommen sind, war
es nur noch ein Trümmerhaufen. Ihre Nachbarn haben
uns erzählt, sie sei darunter begraben. Luz hatte zwei Häuser weiter bei Lulus Schwester übernachtet. Auch dieses Haus war getroffen worden, wobei ihre Tante
umgekommen war, aber Luz war spurlos verschwunden.
Es war schrecklich, nun die Kleine suchen zu müssen.
Ich hatte Angstgefühle, wissen Sie, diese
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