Nick Stone - 04 - Eingekreist
würden, oder ahnungslose Amateure, die den Mund nicht halten konnten.
Ich mochte es nicht, wenn Unbekannte an Aufträgen
beteiligt waren, die ich auszuführen hatte, aber diesmal blieb mir keine Wahl. Ich wusste nicht, wo die
Zielperson wohnte und wie ihr Tagesablauf aussah, und ich hatte keine Zeit, das alles selbst herauszufinden.
Nach dem Essen lehnte ich mich zurück und drückte
meinen Rücken gegen die Sitzlehne, um meine
schmerzenden Bauchmuskeln zu entlasten. Ein
stechender Schmerz in meinen Rippen erinnerte mich
wieder an die Qualität und Haltbarkeit von Stiefeln der Marke Caterpillar.
Ich bewegte mich nur langsam, um neue
Brustschmerzen zu vermeiden, wandte mich von Tiger
Lil ab und zog die Jalousie vor meinem Fenster
herunter. Unter mir erstreckte sich jetzt grüner
Dschungel bis zum Horizont und sah aus dieser Höhe
wie das größte Brokkolibeet der Welt aus.
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Die Maschine landete zehn Minuten zu früh um 11.30
Uhr Ortszeit. Ich gehörte zu den Ersten, die das
Flugzeug verließen, und folgte den Hinweisschildern zu Gepäckabholung und Passkontrolle, die mich durch
lange Reihen von braunen Kunstledersesseln mit
Chromgestellen führten.
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Nach vier Stunden in klimatisierter Umgebung traf
mich die Hitze wie ein Keulenschlag. In einer Hand hielt ich zwei Vordrucke, die ich an Bord zum Ausfüllen
bekommen hatte: einen für den Zoll, einen für die
Passkontrolle. Auf meinen Vordrucken stand, Nick Hoff werde während seines Aufenthalts im Marriott-Hotel
wohnen – ein Marriott gibt’s überall.
Außer den Sachen, die ich am Leib hatte – Jeans,
Sweatshirt und Bomberjacke –, trug ich nur meinen Pass und eine Geldbörse mit fünfhundert Dollar bei mir. Das Geld hatte ich mit meiner neuen Visa-Karte der Royal Bank of Scotland, die auf meinen beschissenen
Decknamen lautete, an einem Geldautomaten auf dem
Flughafen Miami abgehoben.
Als ich mich auf der Flugzeugtoilette im Spiegel
begutachtet hatte, war ich mir wie einer der Kerle aus dem Wohnheim in Camden Town vorgekommen: das
ganze Gesicht voller Schlafspuren, die Haare wie beim Leadsänger einer Indie-Band zu Berge stehend.
Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen.
Obwohl ich kein Gepäck hatte, war die Passkontrolle ein Witz. Ich gab dem gelangweilten älteren Beamten
einfach meinen ausgefüllten Vordruck, und er winkte mich durch. Ich konnte mir vorstellen, dass sie nicht verstärkt nach Leuten Ausschau hielten, die Drogen
nach Mittelamerika schmuggeln wollten.
Auch die Zollkontrolle passierte ich im Eiltempo, weil ich kein Gepäck hatte. Ich hätte mir in Miami wirklich eine Reisetasche kaufen sollen, um normal zu wirken, aber ich musste in Gedanken anderswo gewesen sein.
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Aber das spielte keine Rolle, denn auch die Jungs vom panamaischen Zoll waren offenbar in Gedanken
woanders.
Ich ging auf den Ausgang zu und befestigte den neuen Leatherman an meinem Gürtel. Ich hatte ihn in Miami als Ersatz für den gekauft, den Sundance mir geklaut hatte, und er war mir bei der Sicherheitskontrolle
abgenommen und in einen gepolsterten Umschlag
gesteckt worden, damit ich ihn nicht dazu benutzen
konnte, das Flugzeug zu entführen. Nach unserer
Landung hatte ich ihn mir in der Gepäckausgabe bei der Aufsicht abholen müssen.
In dem kleinen Ankunftsbereich fand die Lärm-und-
Gedränge-Olympiade statt: Spanische Stimmen
kreischten, Lautsprecher schepperten, Babys brüllten und Handys klingelten mit sämtlichen nur vorstellbaren Melodien. Ich ging weiter und suchte dabei die
Gesichter der wartenden Angehörigen und Taxifahrer
ab, von denen einige Schilder mit Namen hochhielten.
Frauen waren in der Überzahl, und mir fiel auf, dass sie entweder sehr dick oder sehr mager waren; dazwischen gab es nicht viel. Einige waren mit Blumensträußen
gekommen und hatten alle Mühe, ihre kreischenden
Kleinkinder zu bändigen. Wie sie so in Dreier- und
Viererreihen hinter den Barrieren standen, erinnerten sie an Fans in einem Ricky-Martin-Konzert.
Schließlich entdeckte ich im Gedränge ein weißes
Pappschild mit dem mit breitem Filzschreiber
geschriebenen Namen YANKLEWITZ. Der
langhaarige Mann, der es hochhielt, sah anders aus als 140
der CIA-Agent mit klar geschnittenen Gesichtszügen, den ich zu sehen erwartet hatte. Er war schlank,
ungefähr so groß wie ich, knapp einsachtzig, und
schätzungsweise Mitte bis Ende fünfzig. Er trug
Khakishorts und eine dazu passende Fotografenweste, die aussah, als habe sie
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