Nick Stone - 04 - Eingekreist
könnte.«
»Nein, Kumpel. Wir müssen zusehen, dass wir ihn
loswerden.« Ich bemühte mich, das nicht wie einen
Befehl klingen zu lassen.
Wir fuhren von der Straße ab und parkten unter den
Bäumen. Für große Förmlichkeiten war keine Zeit.
»Wollen Sie mir helfen?«, fragte ich, als ich die Machete aufhob.
Er dachte angestrengt nach. »Ich möchte sein Bild
nicht hier drin haben, wissen Sie, nicht in meinem Kopf.
Können Sie das verstehen?«
Das konnte ich, denn in meinem Kopf waren eine
Menge Bilder gespeichert, auf die ich lieber verzichtet hätte. Das neueste dieser Bilder war das eines Jungen in 264
blutgetränkter Kleidung, der mit offenem Mund den
Nachthimmel anstarrte.
Als ich ausstieg, war das Morgenkonzert der Vögel
kurz vor Sonnenaufgang in vollem Gange. Ich hielt den Atem an, öffnete die Heckklappe, packte Diego unter den Achseln und schleifte ihn rückwärts gehend unter die Bäume. Dabei konzentrierte ich mich darauf, ihm nicht ins Gesicht zu sehen und kein Blut an meine Sachen zu bekommen.
Im Halbdunkel unter dem Blätterdach wälzte ich ihn
ungefähr zehn Meter vom Waldrand entfernt unter
einen umgestürzten Baum, legte die abgewischte
Machete dazu und häufte vor ihm Zweige und Laub auf.
Ich musste nur dafür sorgen, dass er bis Samstag nicht entdeckt wurde. Sobald ich fort war, würde Aaron
vielleicht zurückkommen und tun, was er von Anfang an hatte tun wollen. Es würde nicht schwer sein, ihn hier zu finden; bis dahin würden sich hier so viele Fliegen versammeln, dass er nur ihrem Summen nachzugehen
brauchte.
Nachdem ich die Heckklappe geschlossen hatte, stieg ich vorn ein und knallte die Beifahrertür zu. Ich dachte, Aaron würde sofort weiterfahren, aber stattdessen
wandte er sich mir zu. »Wissen Sie was? Ich denke,
Carrie sollte von dieser Sache vielleicht nichts erfahren, Nick. Finden Sie das nicht auch? Ich meine …«
»Kumpel«, sagte ich, »Sie haben mir die Worte
praktisch aus dem Mund genommen.« Ich versuchte zu
lächeln, aber meine Gesichtsmuskeln spielten nicht mit.
Er nickte und fuhr dann auf die Straße zurück,
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während ich mich neben ihm zusammenrollte und die
Augen schloss, weil das hoffentlich gegen meine
Kopfschmerzen helfen würde.
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Ungefähr eine Viertelstunde später fuhren wir durch eine Ansammlung von Hütten beiderseits der Straße. In einer von ihnen pendelte eine Petroleumlampe, die
bunte, ausgebleichte Kleidungsstücke beleuchtete, die zum Trocknen aufgehängt waren. Die Hütten waren aus Hohlblocksteinen gemauert, hatten Türen aus
ungehobelten Brettern und waren mit Wellblech
gedeckt. Die Fenster waren unverglast, sodass nichts den Rauch der in der Nähe der Eingänge schwelenden
kleinen Feuer daran hindern konnte, in die Hütten zu ziehen. Magere Hühner stoben vor dem heranrollenden Mazda auseinander. Dies war alles ganz anders als das Panama, das mir das Bordmagazin gezeigt hatte.
Aaron deutete im Vorbeifahren mit einem Daumen
über die Schulter. »Wenn die Holzfäller abziehen,
tauchen diese Leute auf – Tausende von Bauern, die nur für den eigenen Bedarf produzieren, lauter arme Teufel, die vom Ertrag ihrer Landwirtschaft zu leben versuchen.
Das Problem ist nur, dass nach dem Verschwinden der Bäume der Mutterboden weggewaschen wird, sodass auf ihren Feldern binnen zwei Jahren nur noch Gras wächst.
Dreimal dürfen Sie raten, wer dann kommt – die
Viehzüchter.«
Ich sah ein paar mickrige Kühe, die mit gesenkten
Köpfen weideten. Er deutete wieder mit dem Daumen.
»Die Hamburger von kommender Woche.«
Dann riss Aaron das Lenkrad ohne Vorwarnung nach
rechts, und damit verließen wir den Pan-American
Highway. Wie in der Stadt gab es entlang dieser
Schotterstraße keine Wegweiser. Vielleicht hatten die 267
Zuständigen ihren Spaß daran, die Bevölkerung im
Ungewissen zu lassen.
Ich sah ein Konglomerat aus Hütten mit
Wellblechdächern. »Chepo?«
»Ja, die schlimme und traurige Seite.«
Die Makadamstraße führte an einer Siedlung mit
weiteren kümmerlichen Bauernhütten auf Pfählen
vorbei. Unter ihnen lebten Hühner und ein paar alte Katzen zwischen Eisenschrott und Bergen von
verrosteten Konservenbüchsen. Über einigen Hütten
stieg Rauch aus Ton- oder rostigen Blechrohren auf. Ein anderer Schornstein bestand aus sechs oder sieben
Marmeladeneimern, die jemand oben und unten
aufgeschnitten und zusammengehämmert hatte. Der
Rauch war das einzige Lebenszeichen. Die schlimme und
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