Nick Stone - 04 - Eingekreist
Londoner Bahnhof in der Gepäckaufbewahrung stand.
Das alles erzählte ich ihr, und es tat mir gut. Ich erzählte ihr auch, dass ich nur deshalb in Panama war, um zu verhindern, dass mein Boss ein Kind ermorden ließ. Ich hätte ihr am liebsten noch mehr erzählt, aber es gelang mir, mich zu beherrschen, bevor alles aus mir hervorbrach.
Als ich fertig war, saß ich mit verschränkten Armen da, fühlte mich unsicher, wollte Carrie nicht ansehen und starrte deshalb wieder die Pflanzkübel an.
Carrie räusperte sich. »Dieses Kind . ist das Marsha oder Kelly?«
Ich fuhr herum, und sie verwechselte mein Erschrecken mit Zorn.
»Tut mir Leid . ich weiß, dass ich das nicht hätte fragen sollen. Aber ich bin die ganze Nacht bei Ihnen gewesen, ich war nicht nur zufällig da, als Sie aufgewacht sind . Das wollte ich Ihnen heute Morgen erzählen, aber wir waren beide zu verlegen, glaube ich .«
Scheiße, was hatte ich im Schlaf geredet?
Sie versuchte, den Schock abzumildern. »Ich musste bei Ihnen bleiben, sonst wären Sie jetzt schon halb in Chepo. Wissen Sie das nicht mehr? Sie sind immer wieder schreiend aufgewacht und wollten ins Freie laufen, um Kelly zu suchen. Und dann haben Sie nach Marsha gerufen. Jemand musste sich um Sie kümmern. Aaron hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und war dafür nicht zu gebrauchen. Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht.«
Mein Herz hämmerte noch mehr, und mir war plötzlich sehr heiß. »Was habe ich noch alles gesagt?«
»Nun, Sie haben von Kevin gesprochen. Ich dachte
zuerst, das sei Ihr wirklicher Name, aber .«
»Nick Stone.«
Unser Dialog musste sich anhören wie ein rasches Frage-und-Antwort-Spiel bei einer Quizshow. Sie musterte mich prüfend, dann kehrte ihr Lächeln zurück. »Das ist Ihr wirklicher Name?«
Ich nickte.
»Warum haben Sie ihn mir gesagt?«
Ich zuckte mit den Schultern. Das wusste ich selbst nicht recht; es war mir einfach richtig erschienen.
Als ich weitersprach, fühlte ich mich wie in Trance. Ich hatte das Gefühl, nur aus der Ferne zuzuhören, wie ein anderer sprach. »Das Mädchen heißt Kelly. Ihre Mutter war Marsha, die mit meinem Freund Kevin verheiratet war. Aida war ihre kleine Schwester. Sie sind alle in ihrem Haus ermordet worden. Kelly war die einzige Überlebende. Ich bin um wenige Minuten zu spät gekommen, sonst hätte ich sie vielleicht retten können. Ich bin einzig wegen Kelly hier — sie ist alles, was ich noch habe.«
Carrie nickte langsam, während sie das verarbeitete. Ich nahm undeutlich wahr, dass mir der Schweiß in Strömen übers Gesicht lief, und versuchte ihn abzuwischen.
»Wollen Sie mir nicht von ihr erzählen?«, fragte sie leise. »Ich würde gern alles hören.«
Ich fühlte wieder das Kribbeln in meinen Beinen, spürte meinen Widerstand erlahmen und konnte mich nicht länger beherrschen.
»Das ist in Ordnung, Nick. Lassen Sie’s raus.« Ihre
Stimme klang sanft und beruhigend.
Damit war der Damm gebrochen. Die Worte sprudelten sich überschlagend aus mir heraus, sodass ich kaum noch zum Luftholen kam. Ich erzählte ihr, dass ich Kellys Vormund geworden war, wie ich in dieser Rolle völlig versagt hatte, dass ich nach Maryland unterwegs war, um Josh zu besuchen — den einzigen so genannten Freund, der mir geblieben war —, wie Leute, die ich mochte, mich immer irgendwie reinlegten, und dass ich die Verantwortung für Kelly nun endgültig an Josh abtreten sollte. Ich schilderte Kellys Therapie, meine Einsamkeit . alles. Als ich endlich fertig war, fühlte ich mich ausgepumpt und blieb einfach mit vors Gesicht geschlagenen Händen sitzen.
Ich fühlte, wie eine Hand sanft meine Schulter berührte. »Das alles haben Sie vorher noch niemandem erzählt, nicht wahr?«
Ich schüttelte den Kopf, ließ meine Hände sinken und versuchte zu lächeln. »Niemals«, bestätigte ich. »Der Therapeutin musste ich einiges über Kevins und Marshas Tod erzählen, aber ich habe mein Bestes getan, um alles andere vor ihr zu verbergen.«
Carrie schien in mir zu lesen wie in einem offenen Buch. Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls. »Sie hätte Ihnen helfen können, wissen Sie.«
»Hughes? Sie hat mir nur das Gefühl vermittelt, ich sei emotional verkümmert.« Ich biss die Zähne zusammen. »Meine Welt sieht vielleicht wie ein Haufen Scheiße aus, aber immerhin schaffe ich es manchmal, obendrauf zu sitzen.«
Sie bedachte mich mit einem traurigen Lächeln.
»Aber welche Aussicht haben Sie von Ihrem
Scheißhaufen
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