Nick Stone - 04 - Eingekreist
zu besprechen, was schief gegangen war. Mit dem Jasager würde ich schon irgendwie fertig werden.
Der Junge verschwand wieder in der Menge, bewegte sich zu seinem Vater zurück. Inmitten der anderen konnte ich gerade noch eine Schulter von ihm sehen.
Die drei Lämpchen erloschen gleichzeitig. In nächsten Augenblick flammte Signalleuchte zwei erneut auf. Diese Frau ließ einfach nicht locker. Wahrscheinlich war sie doch kinderlos.
Nach wenigen Sekunden erlosch das Lämpchen wieder. Richtig oder falsch, jetzt musste ich handeln.
Ohne den Jungen aus den Augen zu lassen, drückte ich einmal mit dem Daumen auf die Sendetaste. Dann drückte ich sie erneut und betätigte gleichzeitig die zweite Taste, die den Sprengsatz zündete. Beim dritten Mal drückte ich wieder nur die Sendetaste.
Die Detonation auf dem jenseitigen Themseufer klang wie ein starker, lange nachhallender Donnerschlag. Ich beobachtete, wie der Junge — und seine gesamte Umgebung — auf die Detonation reagierte, statt wie von mir geplant tot zusammenzubrechen.
Die Druckwelle kam über den Fluss und ließ mein Fenster klirren. Während ich darauf horchte, wie die letzten Echos durch die Straßen von Whitehall rumpelten, wurde unter mir das Gekreische der Touristen lauter. Ich konzentrierte mich weiter auf den Jungen, den sein Vater eilig mit sich zu der Bogentür zog.
Während auf der Terrasse Panik ausbrach, knipste der Fotograf wie wild, um die Aufnahmen zu machen, mit denen er seine Hypothek würde abzahlen können. Dann kam der Jasager in Sicht und blieb neben den PR- Frauen stehen, die sich bemühten, den Gästestrom in geordnete Bahnen zu lenken. Er machte ein besorgtes Gesicht, das nichts mit der Detonation, sondern nur damit zu tun hatte, dass er zusehen musste, wie die Zielperson lebend in Sicherheit gebracht wurde. Der Junge verschwand durch die Tür, und die anderen folgten, aber der Jasager machte weiter keine Anstalten, den beiden Frauen zu helfen. Stattdessen hob er den Kopf und sah über die Themse zu mir hinüber. Das war beinahe unheimlich. Obwohl er nicht genau wusste, wo ich in diesem Gebäude war, hatte ich das Gefühl, er sehe mir direkt in die Augen.
Wegen dieser Sache würde ich tief in der Scheiße sitzen, und ich wusste, dass ich für ihn eine wirklich gute Story brauchen würde. Aber nicht heute; es wurde Zeit, dass ich mich auf den Weg zur Waterloo Station machte. Mein Eurostar fuhr in einer Stunde und fünf Minuten. Die Scharfschützen würden jetzt an den Übergangspunkten stehen — den Nahtstellen zwischen kontaminierten und nicht kontaminierten Bereichen —, ihre Overalls ausziehen und sie in die Sporttaschen werfen, aber ihre Latexhandschuhe noch anbehalten, bis sie die Tür der Bürokabine von außen geschlossen hatten. Waffen, Fernrohre und Lunchbox blieben ebenso zurück wie der Netzstore und der dunkle Hintergrundstoff.
Ich lief schnell, aber nicht überhastet ans Fenster und schob es einen Spaltbreit hoch, um die Antennen einzuziehen. Der Lärm auf der Straße war jetzt viel lauter als die Detonation von vorhin. Vom Albert Embankment drangen Schreckensschreie von Männern, Frauen und Kindern herauf. Auf der Brücke stockte der Verkehr, und Fußgänger standen wie angewurzelt da, während eine dichte schwarze Rauchwolke über den First des Verteidigungsministeriums zog.
Ich schloss das Fenster, ohne mich noch weiter darum zu kümmern, was draußen geschah, klappte das
Fernglasstativ zusammen und packte meine ganze Ausrüstung so schnell wie möglich ein. Ich musste diesen Zug erreichen.
Sobald ich mein Zeug — auch den Schutzdeckel der Rasierschaumdose — in die mitgebrachte Sporttasche gepackt hatte, stellte ich den nicht abgespülten Kaffeebecher auf seinem Wayne’s-World-Untersetzer und das Telefon genau wieder dorthin, wo sie gestanden hatten, bevor ich auf dem Schreibtisch Platz für Fernglas und Lunchbox gemacht hatte, wobei mir ein Polaroidfoto zu Vergleichszwecken diente. Dann kontrollierte ich die Übersichtsaufnahmen, die ich als Erstes gemacht hatte, nachdem ich hier eingebrochen war. Vielleicht stand ein Stuhl eine Handbreit zu weit rechts. Das war keine überflüssige Pedanterie. Solche Details konnten wichtig sein. Ich kannte einen Fall, in dem ein Agent sich durch etwas so Simples wie ein nicht ordentlich zurückgelegtes Mousepad verraten hatte.
Mein Gehirn begann von innen an meinen Schädel zu hämmern. Irgendwie war das Bild, das sich mir bei meinem Blick aus dem Fenster geboten
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