Nick Stone - 04 - Eingekreist
bringst du endlich Ordnung in dein Leben?«, blaffte die Stimme aus der Hörmuschel. »Wir hatten diesen Dienstag vereinbart — das ist morgen, Mann. Sie freut sich schon die ganze Zeit darauf. Sie liebt dich, Mann, sie liebt dich sehr — kapierst du das nicht? Du kannst nicht einfach hier reinschneien und ...«
Ich wusste, was er sagen wollte, und unterbrach ihn fast bettelnd: »Ich weiß, ich weiß, tut mir Leid .« Mir war klar, wohin dieses Gespräch steuerte, und ich wusste auch, dass Josh dieses Ende provozierte. »Bitte, Josh — kann ich mit ihr reden?«
Er verlor ausnahmsweise die Nerven und brüllte ins Telefon: »Nein!«
»Ich .«
Zu spät; er hatte aufgelegt.
Ich sackte auf einem Plastikstuhl zusammen und starrte das Schwarze Brett mit der Hausordnung an, die den Heimbewohnern vorschrieb, was sie zu tun und zu lassen hatten.
»Alles in Ordnung, Darling?«
Ich sah zu Maureen auf der anderen Seite der Empfangstheke hinüber. Sie winkte mich zu sich heran, sprach wie eine ältere Schwester mit mir. »Du siehst aus, als hättest du die Nase voll. Komm, dann können wir darüber reden, komm schon, Darling.«
Ich war in Gedanken anderswo, als ich auf das halb zugemauerte Fenster der ehemaligen Pförtnerloge zutrat, in der ihr Schreibtisch stand. Die Öffnung befand sich in Kopfhöhe. Wäre sie größer und niedriger gewesen, hätte sie Maureen keinen Schutz vor den Bekifften und Betrunkenen geboten, die Probleme mit der Hausordnung hatten.
»War’s schlimm, bei deinem kleinen Mädchen anzurufen?«
»Was?«
»Du redest nicht viel, aber ich bekomme von hier aus alles Mögliche mit, weißt du. Ich hab gehört, dass du telefonierst, und gesehen, wie du am Ende deprimierter warst als am Anfang. Ich bin hier nicht nur der Türöffner, weißt du!« Sie lachte schallend, und ich rang mir als Anerkennung für ihren Versuch, mich aufzuheitern, ein Lächeln ab. »War’s schlimm, Darling?«
»Nein, ganz in Ordnung.«
»Das ist gut. Das freut mich. Weißt du, ich habe beobachtet, wie du hier ein und aus gegangen bist — immer so traurig. Ich hab gleich auf eine Scheidung getippt, so was sehe ich den Leuten an. Für dich ist’s sicher schlimm, dass du deine Kleine nicht sehen darfst. Ich hab mir nur Sorgen um dich gemacht, Darling, das war alles.«
»Nicht nötig, Maureen, bei mir ist alles in Ordnung.«
Sie nickte zustimmend. »Gut ... gut, aber solche Dinge können normalerweise .«
Sie wurde vorübergehend durch Ereignisse auf der Treppe abgelenkt. Ein paar Kosovo-Albaner hatten angefangen, sich auf einem der oberen Treppenabsätze anzubrüllen. Maureen zuckte mit den Schultern und lächelte mir zu. »Nun, sagen wir einfach, dass die meisten Dinge sich irgendwann von selbst regeln. Ich hab schon andere Männer gesehen, die hier mit diesem Blick herumgeschlichen sind. Und ich erzähle ihnen das Gleiche und behalte immer Recht. Du wirst sehen, solche Dinge können nur besser werden.«
In diesem Augenblick brach irgendwo über uns eine Schlägerei aus, und eine Nike-Sporttasche flog sich überschlagend die Treppe hinunter. Wenig später folgte ihr Zigaretten verkaufender Eigentümer in einem braunen Pulli mit V-Ausschnitt und weißen Socken. Als dann mehrere Kerle die Treppe herunterstürmten und anfingen, den Jungen mit Fußtritten zu bearbeiten, griff Maureen nach ihrem Handfunkgerät. Sie sprach mit der coolen Gelassenheit, die man sich nur durch jahrelange Erfahrung aneignet.
Ich blieb an die Wand gelehnt stehen, als weitere Zigarettenverkäufer auftauchten und die Schlägerei zu beenden versuchten.
Innerhalb von zwei Minuten war in der Ferne Sirenengeheul zu hören, das rasch näher kam. Als Maureen den Türöffner betätigte, stürmten die Zigarettenverkäufer mit ihren Taschen in der Hand herein, weil sie glaubten, die Polizei veranstalte eine Razzia. Sie rannten auf ihre Zimmer, um ihre Schmuggelware zu verstecken, und überließen die Jungs aus Manchester draußen ihrem Schicksal. Ihnen dicht auf den Fersen drängten vier Polizeibeamte herein, die
sich daran machten, den Krawall zu beenden.
Ich sah auf meine Baby-G, ein neues Modell in Schwarz mit purpurroter Beleuchtung. Noch über drei Stunden, bis ich abgeholt wurde, und es gab nichts, was ich hätte tun wollen. Ich wollte nichts essen, ich wollte nichts trinken, wollte nicht einmal nur herumhocken und wollte ganz bestimmt nicht, dass Maureen mir in die Seele blickte, so hilfsbereit sie auch zu sein versuchte. Sie wusste schon zu viel.
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