Nick Stone - 04 - Eingekreist
Jungs aus Manchester verteilten
Schmuggelware — Zigaretten und Tabak für Selbstdreher —, die diese Leute in Pubs und auf Märkten verkaufen würden.
Ausgetretene Steinstufen führten zu einer
zweiflügligen Eingangstür mit Glaseinsatz hinauf, die ich aufstieß. Ich klingelte, um durch die innere Sicherheitstür eingelassen zu werden, und achtete darauf, dass ich vor der Überwachungskamera stand, damit mein Gesicht gut zu erkennen war.
Dann summte der Türöffner und ich trat ein. Am Empfang begrüßte mich Maureen, eine unförmig dicke Fünfzigerin, die eine Vorliebe für zeltartige geblümte Kleider und den Gesichtsausdruck einer Bulldogge mit Verstopfung hatte. Sie zog die Augenbrauen hoch, während sie mich von oben bis unten betrachtete. »Hallo, Darling, was führt dich her?«
Ich lächelte. »Ich hatte Sehnsucht nach dir.«
Sie verdrehte die Augen und lachte ihr gewohntes lautes Basslachen. »Yeah, natürlich.«
»Könnte ich vielleicht hier duschen? Der Boiler in meiner neuen Wohnung ist defekt.« Ich hielt mein Waschzeug hoch, damit sie es sehen konnte.
Sie verdrehte erneut die Augen, zog zischend Luft durch ihre Zähne ein und glaubte mir kein Wort. »Zehn Minuten, nicht weitersagen.«
»Maureen, du bist die Beste!«
»Erzähl mir was, das ich nicht schon weiß, Darling. Und denk daran: Nach zehn Minuten ist Schluss.«
Ich ging die Treppe in den ersten Stock hinauf, wo das Dekor aus dick weiß gestrichenen Wänden, die leicht zu reinigen waren, und einem hellgrauen Industriefußboden bestand und folgte dem schmalen Korridor zu den Duschen im rückwärtigen Teil. Auf der linken Seite lag eine lange Reihe von Türen, und ich konnte hören, wie die Zimmerbewohner vor sich hin murmelten, husteten, schnarchten. Auf dem Flur roch es nach Bier und Zigaretten, und in den abgewetzten Kokosläufer waren Brotreste und Kippen hineingetreten.
Aus dem zweiten Stock drang Krach herunter; dort lärmte irgendein alter Knacker, der sich mit sich selbst stritt und dabei Verwünschungen brüllte, die von den Wänden Widerhallten. Ob diese Kerle unter Alkohol oder Drogen standen oder geistig verwirrt waren, war manchmal schwer zu unterscheiden. Betreuung in der Gemeinschaft schien daraus zu bestehen, dass man sie sich selbst überließ.
Der Duschraum bestand aus drei schmuddeligen Kabinen, und ich entschied mich für die mittlere. Während ich mich langsam auszog, irrten draußen Männer umher, deren Stimmen den Korridor füllten. Sobald ich ausgezogen war, drehte ich das Wasser auf. Ich fühlte mich wieder benommen, hatte nur noch den Wunsch, diesen Tag hinter mich zu bringen, und zwang mich dazu, meine Prellungen auf Brust und Beinen zu untersuchen, obwohl sie schmerzhaft und druckempfindlich waren.
Auf dem Gang rief jemand meinen Namen, und ich erkannte diese Stimme. Ich wusste nicht, wie der Kerl hieß, sondern nur, dass er ständig betrunken war. Wie alle anderen konnte er nur so aus seinem elenden Dasein flüchten. Mit undeutlicher Stimme, die einen schottischen Anklang hatte, brüllte er immer wieder denselben alten Vorwurf, Gott habe ihn beschissen. Früher hatte er eine Frau, Kinder, ein Haus, einen Job. Alles war den Bach runtergegangen, er hatte alles
verloren, und daran war allein Gott schuld.
Ich stellte mich unter die Dusche und bemühte mich, den Lärm auszublenden, als die anderen sich einmischten und ihn aufforderten, die Schnauze zu halten.
Dieses städtische »Wohnheim« war eigentlich nichts anderes als ein Obdachlosenasyl. Allerdings beherbergte es nicht nur obdachlose Männer, sondern auch Flüchtlinge aus Bosnien, Serbien und dem Kosovo, die ihren Krieg nach London mitgebracht zu haben schienen und sich auf den Fluren und in den Waschräumen prügelten.
Die Stimmen auf dem Flur begannen in meinem Kopf zu verschmelzen und immer lauter zu werden. Mein Herz hämmerte wie wild, und meine Beine wurden wieder gefühllos. Ich sackte in der Dusche zusammen und hielt mir mit beiden Händen die Ohren zu.
Ich hockte einfach da, bedeckte meine Ohren mit den Händen, hielt die Augen fest geschlossen, versuchte den Lärm auszublenden und wurde von demselben kindlichen Entsetzen erfasst, das mich im Café überwältigt hatte.
Das Bild, das der Jasager mir in den Kopf eingepflanzt hatte — Kelly schlafend im Bett —, ließ mich nicht los. Sie würde in dieser Minute in Maryland im Bett liegen, unten in einem zweistöckigen Bett, in dem Josh’ Älteste oben schlief. Ich wusste genau, wie sie
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