Nick Stone - 04 - Eingekreist
hatte. Schwarzweiß gekleidete Männer und Frauen richteten die Pavillons links des Zielgebiets her, verteilten Aschenbecher und stellten Schalen mit Nüssen und Knabbersachen auf quadratische Tische. Hinter ihnen stakste ein gestresst wirkender älterer Kerl in einem grauen Zweireiher auf und ab und schwenkte die Arme, als dirigierte er eine Aufführung von Last Night of the Proms.
Mein Blick glitt weiter über die Terrasse, und ich sah auf einer der Holzbänke einen Fotografen sitzen. Er hatte zwei Kameras neben sich liegen und rauchte zufrieden, während er das aufgeregte Treiben um sich herum breit grinsend verfolgte.
Ich beobachtete wieder den Dirigenten. Er sah zum Big Ben auf, verglich die Anzeige der Turmuhr mit seiner Armbanduhr und klatschte dann in die Hände. Er war wegen des Zeitplans ebenso in Sorge wie ich. Wenigstens war das Wetter auf unserer Seite. Durch eines der Pavillonfenster schießen zu müssen, hätte die Dinge noch komplizierter gemacht, als sie ohnehin schon waren.
Alle drei Feuerstellungen befanden sich auf meiner Seite des Flusses: in drei Bürocontainern auf dem Gelände des St. Thomas’s Hospital direkt gegenüber dem Zielgebiet. Drei verschiedene Stellungen gewährleisteten drei verschiedene Schusswinkel und
somit drei Einzelchancen, die Zielperson zu treffen.
Der Abstand zwischen dem ersten und dem dritten Scharfschützen betrug etwa neunzig Meter, und sie würden je nach ihrer Position im Dreierfeld aus Entfernungen zwischen dreihundertdreißig und dreihundertachtzig Metern schießen. Da die Container etwas erhöht standen, lag das Zielgebiet in einem Winkel von ungefähr fünfundvierzig Grad unter ihnen. Das reichte gerade aus, um die Zielperson vom Magen aufwärts zu sehen, wenn sie saß, beziehungsweise von den Oberschenkeln aufwärts, wenn sie stand, denn die Terrasse lag auf ganzer Länge hinter einer über einen Meter hohen Steinbrüstung, damit die Abgeordneten und Peers nicht in die Themse fielen, wenn sie ein paar Drinks intus hatten.
Das Flussufer vor den Feuerstellungen war mit Bäumen bestanden, die etwas Deckung boten, aber auch die Sicht aufs Zielgebiet beeinträchtigten. Bei diesen Dingen musste man fast immer Kompromisse eingehen; ideale Voraussetzungen waren nur selten gegeben.
Dies würde das erste Mal sein, dass die Scharfschützen ihre Feuerstellungen bezogen — und zugleich das letzte Mal. Unmittelbar nach dem Anschlag würden sie mit Eurostar-Zügen, die von der nur zehn Minuten zu Fuß entfernten Waterloo Station abfuhren, nach Paris, Lille oder Brüssel fahren. Sie würden im Kanaltunnel ein Glas Wein auf ihren Erfolg trinken, lange bevor Special Branch und Medien die vollen Auswirkungen ihres Anschlags erfasst hatten.
2
Sobald ich mich davon überzeugt hatte, dass die einzigen Aktivitäten im Zielgebiet von dem überlasteten Catering-Personal stammten, konzentrierte ich mich wieder darauf, meine drei Lämpchen zu beobachten. Die Scharfschützen Eins und Drei hätten längst ihre Bereitschaft melden müssen. Ich war inzwischen darüber hinaus, nur leicht beunruhigt zu sein, und stand kurz davor, mir Sorgen zu machen.
Ich dachte an Scharfschützin Zwei. Sie würde sich vorsichtig in Feuerstellung begeben haben, nachdem sie den Weg dorthin mit denselben Mitteln wie die Route zu ihrem toten Briefkasten kontrolliert hatte, und dabei vermutlich eine einfache Verkleidung getragen haben. Perücke, Mantel und Sonnenbrille sind wirkungsvoller, als die meisten Leute glauben — auch wenn die SB-Leute Hunderte von Stunden damit verbrachten, sich Videofilme aus Sicherheitskameras des Krankenhauses, aus Kameras zur Verkehrsüberwachung und Überwachungskameras der Londoner Polizei anzusehen.
Nachdem sie zuvor ihre Latexhandschuhe angezogen hatte, hatte sie den Bürocontainer betreten, indem sie die Tür mit dem zur Verfügung gestellten Schlüssel aufsperrte. Dann hatte sie abgeschlossen und im oberen und unteren Türdrittel zwei graue Gummikeile zwischen Tür und Rahmen geklemmt, damit niemand hereinkommen konnte — auch nicht mit einem Schlüssel. Als Nächstes hatte sie die Sporttasche geöffnet und angefangen, ihre Arbeitskleidung anzuziehen: einen bei
B & Q gekauften hellblauen leichten Maleroverall mit Kapuze und Füßlingen. Sie musste unter allen Umständen vermeiden, den Container, das Gewehr und die zurückbleibenden Teile ihrer Ausrüstung mit Fasern von ihrer Kleidung oder sonstigen persönlichen Spuren zu kontaminieren. Ihr Mund würde jetzt
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