Nick Stone - 04 - Eingekreist
lag.
Der Poncho, auf den der Regen wie auf die Bespannung einer Trommel prasselte, war wie ein hochgerutschtes Kleid um seine Brust zusammengerafft. Seine beiden Hände umklammerten seinen Unterleib; Blut glänzte dunkelrot, wo es zwischen seinen Fingern hervorquoll. Seine Beine beschrieben kleine kreisförmige Bewegungen, als versuche er zu rennen.
Er tat mir Leid, aber ich hatte nicht anders handeln können. Sobald diese rasiermesserscharfe Stahlklinge zum Schlag ausgeholt hatte, war es um sein oder mein Leben gegangen.
Ich war nicht gerade stolz auf mich, aber ich unterdrückte diese Anwandlung von Gewissensbissen, als ich festzustellen begann, dass dieser Mann nicht gerade ein einheimischer Holzfäller war, dem ich zufällig über den Weg gelaufen war. Seine Fingernägel waren sauber, vielleicht sogar manikürt, und obwohl sein Haar jetzt zerzaust und voller Schlamm und Laub war, hatte es einen modischen Schnitt mit ausrasiertem Nacken und sorgfältig gestutzten Koteletten. Er war ein gut aussehender Mann spanischer Abstammung, den ich auf Anfang dreißig schätzte. Auffällig an ihm waren nur seine zu einem geraden Strich zusammengewachsenen Augenbrauen.
Dieser Kerl war kein Bauernjunge, er war ein Städter, den ich vorhin schon einmal gesehen hatte — vor
Charlies Haus auf der Ladefläche eines Pickups stehend. Wie Aaron gesagt hatte, fackelten diese Leute nicht lange, und er hätte mich ohne Bedauern in Stücke gehackt. Aber was hatte er hier im Dschungel zu suchen gehabt?
Ich saß da und starrte ihn an, während es dunkler wurde und Regen und Donner unvermindert
weitergingen. Dieser Vorfall bedeutete das Ende meiner Erkundung, denn wir mussten beiden verschwinden. Er würde bestimmt vermisst werden. Vielleicht wurde er bereits vermisst. Die anderen würden sich auf die Suche nach ihm machen, und wenn sie wussten, wohin er unterwegs gewesen war, würden sie nicht lange brauchen, um ihn zu finden — falls ich ihn hier zurückließ.
Ich klappte meinen Leatherman zusammen, ohne das Blut abzuwischen, steckte ihn wieder in seine
Ledertasche und fragte mich dabei, ob Jim Leatherman vorausgesehen hatte, dass seine Erfindung einmal so verwendet werden würde.
Ich vermutete, dass es von hier aus zum Zaun näher als zur Straße war: Erreichte ich ihn, brauchte ich ihm nur zu folgen, um auch bei Nacht aus dem Dschungel herauszukommen.
Der Kerl mit den zusammengewachsenen
Augenbrauen atmete flach und schnell; er hielt sich noch immer mit beiden Händen den Bauch und murmelte mit schmerzverzerrtem Gesicht unverständliche Worte vor sich hin. Ich zog eines seiner Lider hoch. Selbst bei diesem schwachen Licht hätte seine Pupille besser reagieren, sich viel schneller verkleinern müssen. Er würde es nicht mehr lange machen.
Ich machte mich mit der Machete in der Hand auf die Suche nach seinem Strohhut. Die Machete war ein billiges Ding mit Plastikgriff und einer sehr dünnen, mit Rostflecken übersäten Stahlklinge, die darin festgenietet war.
Was sollte ich mit ihm machen, sobald der Dschungel hinter uns lag? Lebte er dann noch, konnte ich ihn nicht in ein Krankenhaus bringen, weil er von mir erzählen würde, was Charlie warnen und meinen Auftrag unausführbar machen würde. Und zu Aaron und Carrie konnte ich ihn erst recht nicht mitnehmen, weil das die beiden in Lebensgefahr gebracht hätte. Ich wusste nur, dass ich ihn von hier fortschaffen musste. Alles andere konnte ich mir später überlegen.
Mit dem Strohhut in der Hand ging ich zu dem Kerl zurück, fasste ihn am rechten Handgelenk und legte ihn mir mit einem Rettungsgriff über Rücken und Schulter. Er ächzte und stöhnte und versuchte sogar auf Mitleid erregende Weise, nach mir zu treten.
Ich packte ihn am rechten Arm und rechten Bein, hielt sie zusammen und hüpfte mehrmals leicht auf der Stelle, damit er richtig über meinen Schultern lag. Das bisschen Luft, das er noch einatmen konnte, wurde dabei aus seiner Lunge gedrückt, was seinen Zustand verschlimmerte, aber das ließ sich nicht ändern. Der Poncho fiel mir übers Gesicht, sodass ich ihn wegschieben musste. Mit seinem Hut und der Machete in der Hand las ich den Kompass ab und marschierte los
in Richtung Zaun.
Es wurde rasch dunkler; ich konnte gerade noch sehen, wohin meine Füße traten. An meinem Hals spürte ich eine warme Nässe, die wärmer als der Regen war, und vermutete, dass das sein Blut war.
Ich zwang mich dazu, in raschem Tempo weiterzuhinken, und blieb nur gelegentlich
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