Nick Stone - 05 - Tödlicher Einsatz
verglaste Fenster mit Metallrahmen ließ sich nach außen öffnen – nicht dass es im letzten Jahrzehnt jemals geöffnet worden wäre. Der
Fensterrahmen war rostig, mit Schmutz und Spinnweben bedeckt. Die Scheibe aus Drahtglas wirkte sehr massiv, aber in der Mitte war ein elektrischer oder vom Wind angetriebener Fensterventilator eingesetzt. Das einzige Problem waren die beiden innen angebrachten
Gitterstäbe, deren Schatten sich als dunkle senkrechte Striche hinter dem Glas abzeichneten.
Wir machten noch fünf oder sechs Schritte bis zur Rückseite des Gebäudes, lehnten uns an die Mauer und versuchten den Eindruck zu erwecken, als schwatzten wir lässig miteinander, während ich um die Ecke sah und das Gewerbegebiet beobachtete. Auf dieser Seite war wieder nur Klinkermauerwerk zu sehen. Links hinter der
entfernten Ecke befand sich die Einfahrt, und dahinter toste der Verkehr über die Brückenzufahrt.
Lofti verlor die Geduld und machte sich auf den Weg zu dem Fenster, das wir gesehen hatten. Während ich ihm folgte, sah ich erst die Gleise entlang und dann wieder ins Flussbett hinunter. »Hör zu, Kumpel, vorerst passiert ihm nichts. Er weiß, dass wir kommen, er hält durch. Wir müssen diese Sache richtig anfangen.«
Er hörte kaum zu; er war damit beschäftigt, das
Fenster zu untersuchen. »Wir können nur nach oben«, erklärte ich ihm eindringlich. »Was hältst du davon?
Sollen wir raufklettern und nachsehen, mit wem wir’s überhaupt zu tun haben?«
Lofti wollte durchs Fenster in das Gebäude eindringen, aber ich schüttelte den Kopf. »Das würde viel zu lange dauern. Wir sollten die Zeit nutzen, um aufs Dach zu klettern. Vielleicht steht eines der Oberlichter offen.«
Er begutachtete erneut das Fenster, dann die fünfzehn Meter hohe Mauer über uns, bevor er widerstrebend nickte. »Also los. Aber bitte beeil dich!«
»Immer nur einer von uns, okay? Das Zeug ist alt.«
Lofti überzeugte sich davon, dass seine Waffe nicht herausfallen konnte, und ich tat das Gleiche. Dann begann ich das von der Sonne heiße rostige Fallrohr der Regenrinne hinaufzuklettern. Es ächzte unter meinem Gewicht und überschüttete mich mit einem Schauer aus Rostflocken, aber das ließ sich nicht ändern. Ich kletterte ohne besondere Technik, achtete aber darauf, das Rohr möglichst nur senkrecht zu belasten. Ich wusste nicht, wie gut die Haken noch hielten, und wollte sie nicht überbeanspruchen.
Schließlich erreichte ich mit beiden Händen die
Dachkante und schob die Unterarme übers Flachdach.
Schultern, Bizepse und Finger schmerzten von der
anstrengenden Kletterei, aber sie mussten noch eine letzte Energieleistung vollbringen. Ich stemmte mich hoch und zog mich nach vorn, bis ich mich aufs Dach wälzen konnte. Die mit Kies bestreute Bitumenbeschichtung des Flachdachs war in der Sonne fast geschmolzen. Ich verbrannte mir Knie und Handflächen, als ich mich jetzt umdrehte, um nach Lofti zu sehen.
In dieser Höhe reichte mein Blick nach allen Seiten übers Gewerbegebiet hinaus. Noch höher waren nur die Wohnblocks jenseits des Flusses und einige Häuser an den Berghängen auf dieser Seite, aber ich rechnete nicht ernsthaft mit der Möglichkeit, von Dritten beobachtet zu werden. Wir konnten nur hoffen, dass keiner der
Hochhausbewohner ausgerechnet jetzt sein neues
Fernglas ausprobieren würde.
Rechts von mir konnte ich in kaum hundert Metern
Entfernung die Bahnstation – eigentlich nur ein
Haltepunkt – erkennen. Von der Rückseite des
Lagerhauses aus führte ein gut ausgetretener
Trampelpfad darauf zu: durch eine Lücke im Zaun, über die Gleise und auf den Parkplatz. In der an der Straße parkenden Autoreihe konnte ich eben noch einen Kombi ausmachen, der Loftis Ford Focus sein musste.
Die Bahnlinie verlief parallel zum Fluss, und am Rand des Gewerbegebiets gab es einen unbeschrankten
Bahnübergang, den Lofti benutzt haben musste, bevor er links auf den Parkplatz abgebogen war.
Loftis angestrengte Grunzlaute übertönten den
Verkehrslärm, als er die letzten Meter weiterkletterte.
Eine Hand erschien über der Dachrinne, und ich packte sein Handgelenk, während er meines umklammerte. So hievte ich ihn zu mir aufs Dach, und wir blieben beide eine halbe Minute lang liegen, bis wir wieder zu Atem gekommen waren. Ich schloss die Augen, weil mich die Sonne blendete, und fühlte die vom Dach abgestrahlte Hitze durch Sweatshirt und Jeans brennen.
Meine Kleidung zerrte an mir, als ich mich auf den Bauch
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