Nick Stone 05 - Tödlicher Einsatz
zu haben, um ihn an einer reich verzierten Leine auszuführen oder ihn liebevoll zu beobachten, während er mitten auf den Gehsteig kackte. Seit meiner Ankunft hatte ich schon drei Ladungen von meinen Timberlands abkratzen müssen, aber jetzt verstand ich mich auf den »Cannes Shuffle«, das mehr oder weniger elegante Herumkurven um unliebsame Hinterlassenschaften.
Rechts von mir stieg der Boulevard sanft an, wurde steiler, als er auf zwei bis drei Kilometern zwischen Autoverkaufsplätzen und unattraktiven Wohnblocks hindurchführte, und erreichte dann die Autoroute 8, die einen in ungefähr einstündiger Fahrt nach Nizza und Italien oder in Gegenrichtung nach Marseille und Spanien brachte.
Links von mir, in etwa fünf Minuten zu Fuß zu erreichen, lagen der Bahnhof, der Strand und die wichtigsten Touristenattraktionen. Aber der einzige Teil der Stadt, der mich heute interessierte, lag hier am Boulevard Carnot. In ungefähr einer Viertelstunde sollte dort drüben die Quelle in Jeans und einem roten Kaschmirpullover aufkreuzen; sie würde sich an einen der Tische setzen und eine vier Wochen alte Ausgabe von Paris-Match mit Julia Roberts auf dem Cover lesen.
Die äußeren Umstände dieses Treffs gefielen mir nicht. Ich hatte gestern dort drüben einen Kaffee getrunken und ein Croissant gegessen, um die Örtlichkeit zu erkunden, und keinen Fluchtweg entdecken können.
Das waren schlechte Voraussetzungen: große Fenster, durch die jedermann ungehindert beobachten konnte, was drinnen geschah, und ein exponierter Gehsteig vor dem Café. Falls jemand durch den Haupteingang hereingestürmt kam, konnte ich nicht über eine Feuertreppe auf der Rückseite des Gebäudes verschwinden oder auf die Toilette gehen und durch ein Fenster hinausklettern. Ich würde riskieren müssen, durch die mir unbekannte Küche zu flüchten. Aber mir blieb nichts anderes übrig: Ich musste Kontakt mit der Quelle aufnehmen.
Die Tür des Trockners hinter mir sprang auf und ließ eine ganze Ladung sehr lebhaft geblümter Bettwäsche erkennen. Ich verlagerte mein Gewicht auf die linke Gesäßbacke und rückte die Bauchtasche zurecht, die vor meinen Jeans hing und Reisepass und Geldbörse enthielt. Von dieser Tasche trennte ich mich nie, und damit sie bei mir blieb, hatte ich einen festen Stahldraht durch den Gurt gefädelt. Im Gedränge benutzten Taschendiebe hierzulande Kappmesser, um solche Gurte zu zerschneiden, aber das würden sie bei diesem nicht ohne weiteres schaffen.
Die alte Frau murmelte weiter etwas von sich hin, dann erhob sie die Stimme, als wollte sie mich zum Zeugen für den beschissenen Zustand dieser Maschinen anrufen. Ich wandte mich ihr zu und tat, was von mir erwartet wurde. »Oui, oui «, sagte ich, lächelte und wandte mich wieder dem Ziel auf der anderen Straßenseite zu.
Vorn in meinen Jeans steckte eine ausgeleierte 9-mm-
Pistole, eine Browning aus den achtziger Jahren mit dreizehn Schuss im Magazin. Wie die gesamte Bewaffnung des Teams war diese französische Schwarzmarktwaffe von einem Kontaktmann geliefert worden, den ich bisher nicht persönlich kannte und dem ich den Spitznamen Thackery gegeben hatte. Ich war ihm noch nicht begegnet und hatte nur ein Foto gesehen, das einen bartlosen Dreißiger mit kurzen schwarzen Haaren zeigte. Die Seriennummer war abgeschliffen, und falls ich die Browning benutzen musste, würde die ballistische Untersuchung zu einer der italienischen Banden führen, die es hier wegen der nahen Grenze reichlich gab. Und ich hatte mir natürlich einen Leatherman gekauft. Ich hätte niemals daran gedacht, ohne einen zu verreisen.
Während ich den Boulevard nach beiden Seiten absuchte und noch einmal das Café gegenüber kontrollierte, toste der Verkehr an meiner neuen Freundin und mir vorbei. Junge Leute rasten auf Motorrollern umher, manche mit Sturzhelmen, manche ohne - genau wie die Verkehrspolizisten auf ihren BMWs. Kleinwagen wurden wie ballistische Raketen durch den Verkehr gesteuert. Über dem Boulevard hing natürlich schon die Weihnachtsdekoration; in diesem Jahr am beliebtesten waren weiße Lichter in Form von Sternen und brennenden Kerzen.
Ich dachte darüber nach, wie sehr sich alles seit unserem Gespräch am Logan Airport geändert hatte.
»Alle Menschen, die Sie lieben, leben hier.« George hatte genau gewusst, was er tat - schon bevor er mir aufgetragen hatte, Zeraldas Kopf mitzubringen. Blinder
Uhrmacher, dass ich nicht lache!
Ich sah zum hundertsten Mal den Boulevard hinauf
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