Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
für morgen, Nick.
Sorg nur dafür, dass dein verdammtes Handy
eingeschaltet bleibt.«
Später in dieser Nacht lag ich unter ein paar Decken auf dem Sofa im Wohnzimmer, konnte aber nicht schlafen.
Der Gedanke an den Alptraum, den der kommende
Morgen bringen würde, ließ mich nicht zur Ruhe
kommen. Kelly würde am Boden zerstört sein, wenn sie erfuhr, dass ich sie nach Hause schickte, obwohl Hughes’
Therapie gerade zu wirken begann – und in einem
Augenblick, in dem wir dabei waren, wieder eine Art Beziehung aufzubauen. Aber scheiß drauf, sie würde zumindest am Leben bleiben. Ich mochte gar nicht daran denken, welche Folgen es für uns alle haben konnte, wenn dieses ASU tatsächlich aktiv wurde.
25
Samstag, 10. Mai, 8.55 Uhr
Ich kam bis zur Wohnungstür, als Suzy aus der Küche rief: »Denk daran, was ich gesagt habe – lass dein Handy eingeschaltet, okay?« Als ich die Tür halb geöffnet hatte, erschien sie eifrig kauend und mit einer Müslischale in der Hand auf dem Flur. »Ich drücke dir die Daumen, dass alles klappt …« Auf dem Weg die Treppe hinunter griff ich in die Innentasche meiner Lederjacke. Meine Finger ertasteten die dünne Tragetasche, in der wir gestern Abend die beiden Tiefkühlmenüs transportiert hatten; jetzt enthielt sie zehn Packungen Doxycycline.
Ich hatte beschlossen, den Mondeo in der Tiefgarage zu lassen. In Großbritannien waren weltweit die meisten Überwachungskameras im Einsatz. In London waren so viele Kameras installiert, die automatisch
Autokennzeichen auswerteten, dass der Jasager sofort wissen würde, wohin ich unterwegs war, und mich
vielleicht schon erwarten würde, wenn ich dort ankam.
Die zur Überwachung der Citymaut installierten
zusätzlichen achthundert Kameras gaben den Ausschlag.
Oberbürgermeister Ken Livingstone behauptete, alle Informationen würden noch am selben Tag gelöscht, und vielleicht stimmte das sogar – aber erst nachdem die Firma, die Special Branch und alle anderen, die sich für unser Leben interessierten, sie ausgewertet hatten. Selbst wenn man zu Fuß unterwegs war, hielten die
Scheißdinger einen durchschnittlich alle fünf Minuten einmal auf Film fest. Viele dieser Überwachungskameras waren »intelligente Kameras«, die Videoaufnahmen mit Gesichtserkennungstechnologie kombinierten und pro Sekunde eine Million Gesichter überprüfen konnten.
Mein eigenes Handy war aus, aber das abhörsichere Nokia blieb wie versprochen eingeschaltet. Ich wusste dass es nicht geortet werden konnte – und auch, dass die Experten der Firma es trotzdem versuchen würden.
Ich fuhr mit einem Taxi nach Chelsea und verbrachte die gesamte Fahrt damit, mir zu überlegen, wie ich Kelly die Hiobsbotschaft beibringen sollte. Als wir zur Klinik abbogen, merkte ich, dass ich fast eine Stunde zu früh dran war, und ließ mich ein paar hundert Meter vorher an der Straße zum Sloane Square absetzen. Dort ging ich in einen W. H. Smith und kaufte einen gepolsterten
Umschlag, einen Filzschreiber und ein Briefmarkenheft.
Nachdem ich die Doxycycline-Kapseln in den Umschlag gesteckt hatte, schlenderte ich die King’s Road entlang zum nächsten Postamt. Als ich den Umschlag an mich selbst bei Jimmy und Garmen adressiert und mit
genügend Briefmarken für eine Beförderung zum Südpol beklebt hatte, wanderte er schließlich durch den
Einwurfschlitz für Briefsendungen.
Da ich noch immer gut eine halbe Stunde totschlagen musste, betrat ich eine Filiale von Next und kaufte einen Stapel Unterwäsche, Socken, Sweatshirts und Jeans. So schnell hatten sie bestimmt schon lange keine dreihundert Pfund mehr eingenommen. Mein Wegwerf-Lebensstil
hatte sich nicht groß verändert. Ich besaß weiterhin nicht viel; ich kaufte immer nur, was ich brauchte, und warf es nach Gebrauch unabhängig davon weg, ob es sich um Rasierklingen, Zahnbürsten oder Jeans handelte. Auch in meinem Apartment in Crystal City gab es nur drei Sätze Bettwäsche, Handtücher und Jeans: einer sauber, einer in Gebrauch, einer in der Wäsche. Nun, zumindest war das die Theorie; die Praxis hing davon ab, ob es mir gelingen würde, die Waschmaschine repariert zu bekommen. Den Rest – ein zweites Paar Stiefel, ein Paar Laufschuhe, ein paar Hemden, etwas Geschirr und eine Menge
Küchenutensilien aus der Fernsehwerbung – brauchte ich eigentlich nicht. Schließlich hatte ich nicht jeden Abend Gäste. Deshalb langweilte ich mich oft – und das war der Grund dafür gewesen, dass ich das ganze
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