Nick u. Jan 1 Zweite Halbzeit
dich eben“, sagt er.
„Gib' mir die Schlüssel, ich kann auch fahren“, sage ich. Er tut so, als hätte er nichts gehört. Na gut.
Wir sitzen nebeneinander und schnallen uns an. „Hoffentlich ist es nichts Ernstes“, sagt er, als wir unterwegs sind. Ich sehe ihn dankbar an und bin froh, dass er jetzt keine Annäherungsversuche startet.
Wir bleiben im Auto sitzen. Es ist noch ein bisschen Zeit. Draußen regnet's .
„Mein Vater ist an 'nem Schlaganfall gestorben“, sagt er. Er hatte ziemlich alte Eltern, das hatte er mir damals erzählt. Seine Mutter hatte ihn erst Mitte vierzig bekommen und sein Vater war fast siebzig, als er sechzehn war. Er war ganz überrascht, als er Franziska kennen lernte, die mit ihren sechsunddreißig Jahren unheimlich jung auf ihn wirkte.
'Hoffentlich geht's gut', denke ich.
„Ich geh' dann mal“, sage ich und steige aus. Er kommt mit.
„Nick, warte“, sagt er und hält mich am Ärmel fest.
„Wegen heute Nacht ... es tut mir leid, dass ich dich so in Verlegenheit gebracht habe, aber ... du bist echt'n Süßer geworden, weißt du? Aber ich hab' schon kapiert, wie's zwischen dir und Jan läuft... er ist echt klasse, dein Jan.“
Wir grinsen uns an.
„Schon okay“, sage ich, „du bist übrigens aber auch rattenscharf geworden!“
„Das war ich schon immer!“, sagt er.
„Das ja ... ich meine optisch“, sage ich, „du siehst echt toll aus, weißt du?“
Wir stehen voreinander.
„Ach, Nick“, sagt Mats leise und da bin ich es, der ihn umarmt und küsst. Zum Abschied sozusagen. Ein Schwall Nasses trifft uns. Bier.
Wir hören grölendes Gelächter. „Diese Schwuchteln!“
„Arschficker!“
„Im dritten Reich wärt ihr in die Gaskammer gekommen!“
„Genau ... da wär's ihnen das letzte Mal gekommen!“ Die Skinheads!
„Was soll das denn?“, schreit Mats aufgebracht, „Ihr Schweine! Macht euch vom Acker!“
Er sieht bedrohlich aus in seiner Wut, will auf sie losgehen. Ich halte ihn am Ärmel zurück.
„Lass“', sage ich leise, „die sind zu fünft...“
Ein paar Leute drehen sich nach uns um.
Mats atmet schwer und steht mit geballten Fäusten da.
„Miese Wichser“, sagt er verächtlich und spuckt vor ihnen aus.
Es sind zu viele Leute da, die Skins haben sich verzogen und beobachten uns aus sicherer Entfernung.
Der Waschbeckenpisser hat sich eine kleine schmächtige Glatze gegriffen und sich hinter die gestellt.
Unter dreckigem Lachen macht er obszöne Bewegungen.
„Scheiße“, sagt Mats wütend auf dem Bahnsteig, „solche Widerlinge gibt's überall, was?“
Mein Herz klopft wild. Vor Aufregung und Zorn.
Jan
Ich lasse meine gesamte Kindheit ablaufen auf der Fahrt und sehe meine Mutter vor mir.
Sie war immer geduldig und hat fast nie mit mir geschimpft -dafür war mein Vater zuständig.
Aber im Grunde war ich ein netter kleiner Junge, glaube ich. Ein bisschen schüchtern. Ein Einzelkind.
Als Kind war ich oft einsam, ich taute erst so mit vierzehn, fünfzehn auf, als ich merkte, dass mich die Mädchen gut fanden. Das gab mir Selbstbewusstsein.
Martin und ich kamen ganz gut an. Er war damals schon so groß und auffällig, dafür aber zurückhaltender.
Ich traf immer die Verabredungen mit den Mädels.
Lief gut.
Meine Mutter klopfte auch immer an, wenn sie in mein Zimmer kam, auch wenn ich allein war. Hätte mein Vater nie gemacht.
Einmal hatte ich mich tagsüber eingeschlossen - na, warum wohl?
Er machte einen Riesen Herrmann.
„In meinem Haus gibt es keine verschlossenen Türen!“, schrie er mich an, „das machst du nicht noch mal!“ Heute denke ich, er hat was anderes gemeint...
Wie verflixt verklemmt er doch war!
Würde Christoph sich einschließen, würde ich's respektieren. Er hat ein Recht darauf, mal für sich zu sein. Auch am Tag. Früher (damit meine ich die Zeit vor Nick) war ich auch noch gehemmter, aber ich hätte niemals so was gesagt, wie mein Vater damals.
Nick hat mich freier werden lassen. Auch den Kindern gegenüber.
Vorletztes Wochenende saßen wir zu viert vorm Fernsehen. Das „Sportstudio“ war gerade vorbei und Katharina und Christoph beschlossen, den anschließenden Gruselfilm noch zu gucken. „Willst du den auch sehen?“, fragte ich Nick.
„Och, muss nicht sein, den kenn' ich schon“, gab er als Antwort. „Dann lass' uns ins Bett gehen“, schlug ich vor, „ich habe Bock auf dich.“
Katharina und Christoph sahen sich an und grinsten.
Da ist es mir erst bewusst
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