Nickel: Roman (German Edition)
wartete, bis er davonfuhr. Dann ging ich nach Hause. Es war anstrengend, aber nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Zum ersten Mal, seit ich hier eingezogen war, wünschte ich mir, einen Nachbarn zu treffen, einfach zur Erinnerung daran, dass das Leben weiterging. Ich öffnete die Garagentür. Vermisste mein Fahrrad. Ging ins Haus und schlief wie ein Stein.
Kapitel 40
Als ich wach wurde, war es Nacht. Mir war kalt. Keine Bettdecke. Falls ich geträumt hatte, erinnerte ich mich nicht daran. Ich stand auf. Gab auf, ging wieder ins Bett und lag in der Schwärze da. Noch nie hatte ich mich so allein gefühlt. Irgendwann schlief ich wieder ein.
Als ich zum zweiten Mal wach wurde, war es hell. Ich sah auf meinen Pager. Nichts. Ich ging zum Computer, checkte mein Bankkonto – nicht übel im Augenblick, knapp unter siebzigtausend. Ich ging ein Fahrrad kaufen, fand mein altes Modell, ein Gary Fisher Roscoe III, bestellte es und dazu ein bisschen DuraCoat zum Lackieren. Mattschwarz, wie beim letzten Mal. Falls es ein besseres Fahrrad gibt, sagt mir Bescheid; im Augenblick ist das das Optimum. Es gibt Leute, die behaupten, Mountainbikes wären nichts für die Straße, und in gewisser Weise haben sie recht. Aber die Sache ist die: Kein Straßenfahrrad taugt auf unebenem Untergrund. Ich brauche eines, das beides kann. Ich schnappte mir ein Buch aus dem Regal:
Blue Belle
von Vachss. Ging nach draußen und wässerte den Garten. Las eine Weile.
Ich hatte mir geschworen, dass, sollte ich Shelby befreien und überleben, ich das Haus putzen, einkaufen gehen und mir ein bisschen vernünftiges Essen besorgen würde. Jetzt waren das die letzten Dinge auf der Welt, die mich interessierten. Ich stellte das Wasser ab und versuchte so zu tun, als würde ich lesen. Aber ich konnte nur an Arrow und Shelby denken – und daran, dass ich sie nun nie wiedersehen würde.
Das war das Schlimmste an meiner Arbeit, wenn ich mich in einen Fall vertieft und alles gegeben hatte. Ich versuchte diesen Gedanken abzublocken, ihn einfach zu verdrängen. Versuchte mir etwas auszudenken, um das Geld unter die Leute zu bringen, aber Fehlanzeige. Schob den ganzen Mist beiseite. Ich musste mich um mein Pot kümmern, ich hatte Zeug, für das ich leben musste, ich hatte Kram, der erledigt werden wollte. Es war nicht meine Schuld, dass nichts davon zählte.
Ich ging in den Garten und machte mich an die Arbeit. Als ich fertig war, hatte ich eine Einkaufstasche voller Gras zum Trocknen. Das nervt schon an normalen Tagen und mit einem verletzten Arm umso mehr. Ich brachte meine Ernte in den Keller und fuhrwerkte dort ein bisschen herum. Irgendwann bekam ich Hunger, aber so richtig. Ich ging nach oben und bestellte bei einer Pizzeria ein paar Sandwiches. Machte den Tisch sauber, räumte meine Flucht-aus-der-Stadt-Kiste weg und verstaute auch das Werkzeug, die Kameraausrüstung und den ganzen anderen Kram wieder. Ging zurück in den Keller und machte mich an die Wäsche. Das Lämpchen, das mit der Türklingel verbunden ist, leuchtete auf.
Ich bezahlte den Jungen mit einem Zwanziger und sagte ihm, er könne den Rest als Trinkgeld behalten, genau wie es einverwöhnter Bengel, der allein zu Hause war, tun würde. Er verschwendete keinen Gedanken an mich. Ich hatte Heißhunger; ich hatte ein Baguette-Sandwich mit Hackbällchen und ein Club-Sandwich bestellt und aß von beiden die Hälfte. Die Reste stellte ich in den Kühlschrank und setzte mich auf die Couch. Sah auf den Pager. Nichts. Rannte zur Waschmaschine. Mir war etwas eingefallen, was jetzt hoffentlich noch lesbar war: die Visitenkarte.
Ich hatte Glück – ich hatte sie auf die Waschmaschine geworfen, als ich meine Taschen durchsucht hatte. Normalerweise durchsuche ich meine Taschen nicht. Nie. Ich las die Nummer, stöpselte Leitung sechs ein und wählte. Bekam diese typische Tonfolge und die Ansage: »Diese Nummer ist nicht mehr erreichbar.« Legte auf, stöpselte das Telefon aus. Davon hatte ich gelesen. Ich ging zum Computer.
Ich war ziemlich sicher, dass ich vor etwa einem Jahr in einem Pädoforum gelesen hatte, einer der neuesten Tricks in diesem Spiel sei die Einrichtung einer Kontakttelefonnummer, bei der man eine Nicht-erreichbar-Ansage bekam. Nur dass diese Ansage in Wirklichkeit ein Vorraum war. Ihr wisst schon, wie wenn man beim Kundendienst anruft und eine Stimme vom Band einen nach Kundennummer und Adresse fragt: »Für Englisch drücken Sie bitte die Eins« und so. Hier war es genau
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