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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Charlton
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der Sohle bis zum Scheitel von lichtbrechenderProsa umwickelt. Zwei schmale Schlitze verblieben für die Augen, so dass Nicodemus hinter dem Wortschleier durchsehen konnte.
    Nicodemus fühlte sich großartig.
    Langsam trat er hinter dem Wandteppich hervor. Seine Stiefel machten nicht das leiseste Geräusch auf dem Kopfsteinpflaster. Doch als er sich den Fackeln näherte, begannen die Sätze, die dem Licht am nächsten waren, in ihrer Wirkung nachzulassen.
    Merkwürdig, normalerweise konnte Licht Zaubersprachen nichts anhaben. Nicodemus wich vor der Fackel zurück und fütterte den Tarntext so lange mit neuen, purpurnen Sätzen, bis er wieder seine volle Wirkung entfaltete.
    Behutsam trat Nicodemus an den Wachen vorbei durch das Tor. Ein nervöses Lächeln umspielte seine Lippen. Die Wachen konnten ihn nicht sehen, sie konnten ihn nicht hören.
    Er schwebte wie auf Wolken. Ihm war es gelungen den uralten Sceadunga-Zauber umzuschreiben. Vielleicht würde er sein Werk eines Tages unter dem Namen »Schattengänger« veröffentlichen. Sein Lächeln wurde zusehends breiter, als er über die Zugbrücke auf die Bergstraße schlüpfte. »Dem Himmel sei Dank, ich bin frei«, flüsterte er und warf noch einen letzten Blick auf die hoch aufragenden Türme Starhavens, die sich dunkel gegen den sternenklaren Nachthimmel abzeichneten.
    Lachend kehrte er der gestrengen Zauberakademie den Rücken, er fühlte sich sicher, sicher unter dem epischen Schleier umgedichteter Prosa.

Kapitel 31
    Nicodemus ging in die kalte Herbstnacht hinaus. Der Wind stürmte durch die Tannen und riss die scharlachroten und goldenen Blätter der Espen mit sich. Es roch nach feuchter Erde und Moder. Vor ihm wand sich die Gebirgsstraße in steilen Kehren bis ins Dorf Gray’s Crossing hinab. Hinter ihm trat die Silhouette Starhavens zart aus dem Dunkel hervor.
    Obgleich Nicodemus Starhaven nur selten verlassen hatte und diesen Weg noch nie bei Nacht gegangen war, hatte er kaum Augen für seine schattenhafte Schönheit; dazu war er viel zu sehr mit den jüngsten Ereignissen und seinen neuen Gefühlen beschäftigt.
    Anfangs empfand er nur triumphierende Freude. Mit Hilfe seiner Kakographie war er entkommen! Doch als er um eine Biegung kam, tauchte vor ihm ein verrotteter Baumstamm auf, der aussah wie eine zusammengerollte Frau mit abgewandtem Gesicht. Ihm rann ein Schauder über den Rücken. Der umgestürzte Stamm wuchs in seiner Fantasie, fahle Pilze, die die Rinde wie Warzen überzogen, kamen zum Vorschein.
    Devins halbzertrümmertes Gesicht tauchte erneut vor seinem inneren Auge auf. Nicodemus versuchte, an den Smaragd zu denken, aber Angst und Trauer ließen sich nicht so leicht verscheuchen. Devin und Kyran waren tot, und Taifon hatte aus John einen ahnungslosen Mörder gemacht. Umso schlimmer, dass Fellwroth noch am Leben war. Der Schaden, den Kyran dem metallischen Golem zugefügt hatte, war ohne Belang. Vielleicht schuf sich Fellwroth bereits einen neuen Körper.
    Nicodemus schloss die Augen und versuchte, sich den Edelstein vorzustellen, doch auch diesmal scheiterte er. Fellwroth würde ihn immer weiter jagen, ganz gleich wie oft Nicodemus ihm entwischteund wie viele Golems er auch zerstörte. Und dennoch, als ihm das Ungeheuer an die Kehle gegangen war, hatte er die Stimme aus dem Smaragd als seine eigene Kinderstimme erkannt. Er hatte erfahren, dass der Stein der fehlende Teil seiner Selbst war, und gelernt, dass ihm in seinen Albträumen Fellwroths wahrhaftiger Körper erschienen war.
    Aber was nützte ihm dieses Wissen? Schließlich war er doch gar nicht der Halkyon. In der Prophezeiung hieß es, der Halkyon würde mit einer zopfförmigen Rune geboren. Nicodemus’ Keloid hingegen war erst nach der Geburt entstanden, nämlich als sein Vater ihn mit dem Smaragd gebrandmarkt hatte. Und zu allem Übel hatte er immer noch keine Ahnung, wo sich Fellwroths Körper befand. Zwar wusste er, dass er in einer Höhle mit einem Menhir lag … die von albtraumartigen Schildkröten bewohnt wurde? Das ergab aber alles keinen Sinn.
    Seine Angst wuchs, und das Keloid begann von Neuem zu brennen. Es wurde so heiß, dass Nicodemus befürchtete, es könnte sein Haar ansengen. Er blieb stehen, um der Narbe Luft zuzufächeln.
    Während er darauf wartete, dass sich das Mal wieder abkühlte, holte er den Findesamen aus seiner Geldkatze hervor und zerbrach die Wurzel. Wie beim ersten Mal schmolz ein Teil des Artefakts und überzog seine Hand mit einer Borke. Nun würde

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