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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Charlton
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Deidre ihn finden.
    Allerdings hatte sie die Narrenleiter östlich aus Starhaven herausgeführt. Somit hatte sie einen langen Fußmarsch vor sich, bis sie auf Nicodemus stoßen würde. Selbst wenn sich die Druidin sofort auf den Weg machte, vor Morgengrauen würde sie ihn bestimmt nicht erreichen. Bis dahin brauchte er ein sicheres Versteck.
    Nicodemus setzte seine Wanderung fort, er hoffte, bald Gray’s Crossing zu erreichen. Doch die Nacht hatte sich verändert, er hatte sich verändert. Der Wald mit seinen riesenhaften Schatten schien bedrohlich näherzurücken. Im blauen Mondschein wirkten die einst so vertrauten Felder wie Landschaften aus einer anderen Welt. Überall lauerte die Einsamkeit der Straße. Nicodemus schüttelte den Kopf, um die Gedanken an Kyran und Devin loszuwerden.
    Aber diese Nacht ließ sich nicht so leicht abschütteln, denn seineFantasie war ihr Verbündeter. Alles verwandelte sich. Aus einem Baumstumpf wurde ein Werwolf, ein kahler Ast streckte seine knorrige Hand nach ihm aus und das Rascheln der Bäume kündete von den leisen Schritten der Chthonen.
    Den größten Teil seines Lebens hatte Nicodemus davon geträumt, sich in diese Wälder zu wagen und auf genau diesem Weg Ungeheuer zu erschlagen. Doch er hatte nicht geahnt, wie einsam er sich fühlen und wie dunkel es sein würde.
    Dann verschwand der blaue Mond hinter einer Wolke, so dass nur noch der weiße Mond am Himmel stand. Die Welt um ihn herum wurde immer schwärzer.
    Bei jedem fallenden Blatt schreckte er zusammen. Jeder knackende Ast beschwor Schreckensszenarien herauf. Ihm war, als spürte er sein Herz direkt hinter den Augen schlagen. Der Weg vor ihm schien zu beben. Nicodemus ließ den Index fallen und sank auf die Knie.
    Hinter Bäumen, unter Büschen wuchsen den nächtlichen Schrecken Beine und Zähne. Sie stahlen sich durchs hohe Wiesengras und lauerten in den Schatten. Krächzend stimmten sie eine schlichte Weise an, die von den vielen Jahren, in denen sie als Geistergestalten die Wälder durchstreift hatten, erzählte und davon, wie Nicodemus’ lang ersehnte Reise sie auf nächtlicher Straße stärkte.
    Am Waldesrand versammelten sich die Nachtwesen. Immer wenn Nicodemus nicht hinsah, flitzten sie hinüber zu den Bäumen auf der anderen Straßenseite. Zumeist gelangten sie ungesehen hinüber, doch hin und wieder erhaschte er einen flüchtigen Blick auf einen knorrigen Ellenbogen oder ein violett glühendes Augenpaar. Keine zwei Wesen waren gleich, und ihre zischenden und spuckenden Sprechchöre schienen von überallher zu kommen.
    Nicodemus’ Atem ging immer schneller, ihm wurde allmählich klar, in welcher Gefahr er sich befand. Natürlich konnte er zurück nach Starhaven. Er warf einen Blick auf die dunklen Türmen. Wenn er zurückkehrte, würden die Wächter ihn einsperren. Aber was machte das schon? In den Fluren würde er anderen Menschen begegnen, und er wüsste wenigstens, dass diese Welt noch die alte war. Er könnte die Sache mit dem Golem erklären. Die Akademie würde ihnbeschützen und ihm einen Ort zuweisen, wo er der literarischen Tradition gemäß seine Sprache ablegen könnte.
    Immer noch auf allen Vieren wandte er sich dem Berg zu.
    Um ihn her flüsterte es, dass sie Angst hätten, er würde nach Starhaven zurücklaufen und sie, die Schrecken der Nacht, um ihre Mahlzeit bringen.
    Einen endlos langen Augenblick trieb Nicodemus in einem fantastischen Kosmos. Doch dann erschien ihm der Stein – und er entschied sich, zu bleiben. Eher würde er bei der Suche nach dem verlorenen Teil seiner selbst sterben, als aufzugeben.
    Die nachtblauen Schrecken erschienen auf der Straße und stöhnten verzückt. Sie kreisten ihn ein: ein albtraumartiges Gelage aus Gebeinen, Bäuchen und Zähnen. Nicodemus rührte sich nicht, er war vor Angst wie erstarrt.
    Ein paar der Monster kamen ihm seltsam vertraut vor – ein kleiner, augenloser Drache, ein riesiges Insekt mit menschlichem Antlitz, ein dreihörniger Troll. Die anderen waren ein so gespenstisches Gemisch aus Gliedmaßen, Flossen und Fangzähnen, dass man sich in diesem Durcheinander unmöglich ein komplettes Bild von ihnen machen konnte. Einige der Ungeheuer rissen an seiner Robe, andere fuhren ihm mit den Klauen durchs Haar.
    Während die Nachtgestalten Nicodemus berührten, nahm er ihre Gedanken und Gefühle wahr. Er spürte, dass seine Entscheidung, hier auf der Straße zu bleiben, sie in einer Weise beeinflusst hatte, von der sie selbst nichts ahnten.
    In

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