Nicodemus
Traseus«, erklärte er Nicodemus. »Er ist ein Hybrid aus Numinus und Magnus und soll die sprachlichen Bewegungen des Artefakts bei der Suche nach einem weltlichen Text sichtbar machen. Das einzige Problem besteht darin, dass Traseus ein sehr umfangreicher Zauber ist, deshalb brauchen wir auch deine Hilfe.«
Nicodemus schauderte, als er mit den Armen aus seinem Lehrlingsgewand schlüpfte. Wenn Shannon und Smallwood mehr Runen benötigten, als sie zu zweit formen konnten, dann würde es wahrlich schwer werden. Er drehte sich zu den Wächtern um, die schon wieder eine von Smallwoods Lektionen über sich ergehen lassen mussten. »Könnten wir sie bitten, uns zu helfen?«, fragte er Shannon leise.
»Als vollwertige Zauberer wären sie wahrscheinlich beleidigt. Außerdem ist es mir lieber, wenn sie einfach nur herumstehen. Wenn sie sich langweilen, werden sie nicht so aufmerksam sein.« Er räusperte sich bedeutungsvoll.
Nicodemus nickte. »Und wie viel von dem Zauber ist bereits geschrieben?« Zumeist schrieben Großzauberer lange Exputationszauberüber mehrere Tage hinweg und bewahrten die Teilzauber in Schriftrollen oder Büchern auf. Beim Zaubern konnten sie dann ganz einfach abgelöst und zusammengefügt werden.
»Noch gar nichts«, gab Shannon zu. »Bislang haben wir nur einen groben Entwurf.«
»Und wie viele Runen werden wir brauchen?«
»Mehrere Hunderttausend in jeder Sprache«, seufzte Shannon. »Es tut mir leid, mein Junge, aber es wird anstrengend für dich werden.« Er kam einen Schritt näher, über den Arm hatte er einen auffälligen grünen Satz drapiert.
Nicodemus nahm den Zauber, der in einer einfachen Sprache geschrieben war, entgegen und übersetzte ihn: »Vergiss nicht, du musst Smlwd und die Hxjgr ablenken.«
Nicodemus flüsterte: »Ja, Magister. Habt Ihr eine Idee, wie man sie zerstreuen könnte?«
Der alte Mann schüttelte kaum merklich den Kopf. »Und du?«
Nicodemus’ Herz schlug ihm bis zum Halse. »Noch nicht.«
Kapitel 20
Der Traseuszauber entpuppte sich als wahrhaft episch. Doch bei der Zergliederung der grammatischen Strukturen des Textes konnte Nicodemus nicht helfen. Seine Hilfe bestand einzig in seiner Muskelkraft. Und um diese nutzbar zu machen, hatte Shannon einen Wortteppichzauber verfasst. Einen Text, von dem er hoffte, er könnte Nicodemus später einen Zaubergrad einbringen.
Für den Wortteppich ordnete Nicodemus die Runenalphabete von Numinus und Magnus in ein gewöhnliches Sprachraster ein. Die Linguisten wiederum nutzten das Raster, um Nicodemus’ Runen in ihre Körper zu ziehen. So ging das über Stunden.
Die ersten, die müde wurden, waren die Wächter. Sie schritten die Kammer ab, inspizierten den Index und die Bücherregale. Zwei von ihnen traten vor die Tür, um den Schutzzauber unter die Lupe zu nehmen.
Währenddessen schuf Nicodemus unermüdlich Runen in seinen Armen, die er dann durch seine Finger gleiten ließ. Doch nach zwei Stunden taten ihm allmählich die Handgelenke weh. Als er um eine Pause bat, erklärte ihm Smallwood, dass Traseus bis kurz vor seiner Vollendung sehr instabil sei, und dass der Zauber bei einer frühzeitigen Unterbrechung zerfallen würde. Schweigend arbeiteten sie eine weitere Stunde.
Zwar hatte Nicodemus keine Zeit, von dem Wortteppich aufzuschauen, dennoch hörte er die Wächter auf und ab gehen. Irgendwann beschwatzte Shannon einen von ihnen, ein Wehr für die Bücherregale zu schreiben, um eine Kettenreaktion zu vermeiden, falls Traseus misslang. Gegen Mittag wurden die Wächter von neuen abgelöst.
Zur Abwechslung ließ Nicodemus die Runen jetzt über seinenHandrücken kullern und schnippte sie mit dem Zeigefinger in das Raster. Dann kam es ihm auf einmal in den Sinn, die Runen mit der Zunge zu formen und sie in Position zu spucken. Leider fühlte sich Magister Smallwood davon gestört, so dass er wieder mit seinen Armen schreiben musste.
Inzwischen war einer der Wächter eingeschlafen und schnarchte. Zuweilen standen Smallwood oder Shannon auf, um einen der vollendeten Teilzauber neben den Index zu stellen. Doch da Nicodemus von seiner Aufgabe komplett in Anspruch genommen war, sah er erst hoch, als der Traseuszauber beinahe schon vollendet war; ihm war jetzt flau im Magen, und er fühlte sich benommen. Doch dann erfüllte ihn der Anblick des prächtigen Textes mit solchem Staunen, dass er darüber sein Unwohlsein ganz vergaß.
Tausende filigraner silberner und goldener Sätze waren zu einer sieben Fuß großen Kugel
Weitere Kostenlose Bücher